Wenn Betonwüsten intelligent werden – Smarte Kontrolle und die Technisierung der Stadt (Anonym)

Immer höher, schneller, besser…

… der Kapitalismus strebt nach ständiger Profitsteigerung und muss ständig seine Funktionsweisen optimieren und neue Absatzmärkte erschließen. Gleichzeitig muss die Kontrolle über die Bürger*innen – die Gestressten und Konsumierenden – bewahrt werden und somit auch die Überwachung, Vermessung und Steuerung von deren Alltagsleben intensiviert und ausgeweitet werden.

Nachdem jeder Winkel dieses Planeten, jeder Mensch, jeder Rohstoff und jede Spezies in die Verwertungslogik der Ökonomie integriert wurde und schließlich jede*r jede*n als Konkurrenz im Rennen um Profit betrachtet, werden Stück für Stück immer neuere Sphären zur Kapitalanhäufung geöffnet: So soll jeder gesellschaftliche Lebensbereich einer Effizienzsteigerung unterzogen werden, indem durch die flächendeckende Installierung von Internet, Chips und Informationstechnologien eine noch „perfektere“ Organisation des Alltags ermöglicht werden soll. Ein Markt, der nicht nur für den Verkauf von Abermillionen „smarter“ Geräte geöffnet wurde, sondern vor allem Profite durch die Speicherung, Auswertung und Verarbeitung all der Abermillionen Daten aller Bürger*innen erzielt. Denn die „Smartifizierung“ des Lebens ist bereits in jeden Bereich des Lebens eingedrungen: „Intelligente“ Technologien werden nicht nur in der Arbeit und im Privatgebrauch eingesetzt, sondern auch im Kontext einer immer flexibleren Mobilität, in jeder Sphäre der Kommunikation und auch im Bereich der Energieversorgung. Der ganze gesellschaftliche und vor allem städtische Raum wird ein Feld indem pausenlos Geräte und Chips sich durch W-Lan in Verbindung setzen und pausenlos Daten sammeln und diese zusehends auch automatisiert auswerten und verwenden. Das Internet der Dinge und die sogenannte künstliche Intelligenz erhalten Einzug in die Stadt – in den Straßenverkehr, den Supermarkt und das Zuhause, in Ampeln, Straßenlaternen, Kassen, Kameras und Kühlschränke.

Urban, green und smart

Der Mensch verkommt zu einer umherirrenden Datenschleuder, dessen Ausdünstungen und Bedienungswünsche möglichst überall vermerkt und effektiv verwertet werden. Angeblich soll alles praktischer werden, schließlich müssen wir nichts mehr selbst tun, außer unser Smartphone bedienen und alles mittels Apps organisieren. Der Verkauf als auch die Datengewinnung durch Geräte, die sich durchgehend automatisch mit anderen Geräten verbinden, und die Datenauswertung mittels aktueller Software aus den Büros von IT-Spezialisten, bilden die Grundlage für den neugewonnenen Reichtum einiger weniger IT-Firmen. Es etabliert sich ein neuer Lebensstil, eine neue, „selbstverständlich“ daherkommende moderne Organisation des alltäglichen Lebens – samt eines gewissen Chic und Styles, den sich zu Anfang nur die Reichen leisten können, welcher sich aber dennoch beständig in der ganzen Gesellschaft durchsetzt. In wechselseitiger Wirkung werden die Teile der Stadt, die den Reichen Vorbehalten sind, durch diesen Style geprägt und fördern diesen zugleich. „Urban, green und smart!“ – nennen sich nicht nur die Reichen, sondern auch die Stadt als Ganzes, wenn sie um die neuen IT-Standorte und Tech-Messen buhlt.

Der omnipräsente Austausch von Daten eröffnet einen recht lückenlosen Einblick in die gesellschaftliche alltägliche Langeweile – in die ganzen kleinen Routinen, Gewöhnlichkeiten und Normen – und das ist es, was Politik und Polizei besonders interessiert. Es zeigt sich nicht nur, wer sich ungewöhnlich verhält, die Trends nicht mitspielt oder sich ihnen eventuell bewusst entziehen will. Die ganze Bevölkerung bietet ein viel exakteres Bild ihrer Bewegungen und Verhaltensweisen, weswegen sie auch um einiges effektiver verwaltet und von oben herab organisiert werden kann. Denn schließlich können auf längere Sicht nicht nur bloß die schwarzen Schafe aussortiert werden, sondern auch riesige Menschenmassen kontrolliert und somit indirekt gelenkt werden. Indem die erhobenen Daten ständig in Form von Statistiken verarbeitet werden, wird ein Mittel geschaffen um Millionen von Menschen zu verwalten, zu regulieren und durch permanente Vorbeugung und Prävention auch zu manipulieren und zu lenken. Die Smartifizierung des Alltags zielt nicht nur auf Wirtschaftserfolge für IT-Riesen, sondern auch auf optimierte Lohnsklaverei, auf Kriminalitätsprävention und reibungsloses Regieren und ein Herrschen und Verwalten, welches sich in gänzlich unsichtbarem, dezentralen und umweltbewusstem Outfit schmückt.

Zusammen intelligenter?

Doch werfen wir ein Blick auf das EU-Projekt „Smarter Together“, welches die Konstruktion einer Smart City in bestimmten Quartieren in den Städten Wien, Lyon und München vorsieht. Das Projekt konzentriert sich in München auf die Stadtteile Neuaubing-Westkreuz und Freiham und betrifft letztendlich 50.000 ansässige und neu hinzu ziehende Bewohner*innen. Neben der Tatsache, dass sich auch dieses Projekt betont umweltfreundlich und offen für das Engagement der Bevölkerung gibt, sieht es zum einen die flächendeckende Ausstattung mit Car-Sharing-Autos, MVG-Rädern vor und soll zudem den Kauf digitaler MVG-Tickets fördern – und schließt somit beinahe alle Bereiche der Mobilität in der Stadt mit ein. Außerdem sollen überall intelligente Straßenlaternen installiert werden, die nur dann leuchten, wenn sich auch Menschen nähern, und zusätzlich auch noch die passierenden Menschen belauschen, mittels W-Lan (ihre IP- Adresse) identifizieren und eventuell auch mit Kameras ausgestattet sind. Dieses neue W-Lan-Netz ist die Basis der Smart City. Darüber hinaus sollen in diesen Vierteln (und Stück für Stück auch in der restlichen Stadt) sogenannte Smart-Meter eingeführt werden, welche den Energieverbrauch eines jeden Haushaltes messen und so herausfinden können, wo wie viele Leute wohnen und wann sie welche elektrischen Geräte in welchem Zimmer benutzen. Da heutzutage fast jede Tätigkeit in Verbindung mit elektronischen Geräten steht, kann so theoretisch eine individuelle Dauerüberwachung in Echtzeit erfolgen. Es geht also um Bevölkerungskontrolle in großem Maßstab, welche auch die Überwachung der Straße und das Überblicken und Beschleunigen der Mobilität mit einschließt.

Dass dieses Projekt ebenso die umfassende Sanierungen und die Aufwertung jener Viertel vorsieht, zeigt letztendlich, dass es in diesem Projekt der Stadt um eine Kapitalinvestition geht, die den Wert des Viertels als auch die Ökonomisierung des gesamten Lebens steigern soll. Zudem ein innovatives Experiment, wie weit man bereits jetzt in der lückenlosen technologischen Kontrolle und Verwaltung der Bevölkerung gehen kann… Die Firmen, die von diesem Projekt profitieren und es entwickeln (SWM, MVG, Siemens, Fraunhofer, TUM, Securitas, Toshiba…) und diejenigen, die die Machtkonzepte dahinter liefern (IBM, Google, Siemens, Microsoft, Amazon, Telekom, Bosch) überschneiden sich nicht nur in ihren Interessen, sondern auch oft in ihrem Standort – München. Schritt für Schritt soll das massive Vorantreiben der Smartifizierung die Stadt zu einem neuen Sillicon Valley machen, zu einem Versuchslabor und Wirtschaftsmotor. Schon jetzt ist ersichtlich, dass durch diese Prozesse nicht nur die städtische Infrastruktur, sondern auch die Zusammensetzung der Bewohnenden nachhaltig verändert werden soll. Die Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse werden rasant beschleunigt, da die attraktiven smarten Arbeitgeber*innen den Zuzug von Yuppies und reichen IT-ler*innen massiv anheizen. Die Errichtung neuer smarter Yuppie-Viertel und das Darbieten neuer Wohn- und Arbeitskonzepte, die besonders auf eine Flexiblisierung, sprich, auf eine Verschmelzung von Arbeit und Freizeit, Wohnung und Arbeitsplatz, Kolleg*innen und Freund*innen und auch dem Pendeln zwischen unterschiedlichen Städten abzielen, soll ein weiterer Köder sein. Nebenher werden noch fleißig heimische IT-StartUps von Stadt und Staat mitfinanziert und das In-Szene-Setzen und Etablieren des hippen, trendigen AirbnB-Deliveroo-Smoothie-Lifestyles tut das Nötigste um langsam aber nachhaltig alle weniger betuchten Städter*innen zu verdrängen und Platz für Neureiche und deren Lofts zu schaffen. So wird letztendlich nicht nur die Bewohnendenstruktur, sondern auch die vorherrschende Art in der Stadt zu leben, zu wohnen und zu konsumieren umgekrempelt – in Richtung immer reicher, immer schicker, immer smarter.

Totale Kontrolle

Dabei stellt der Stellenwert, den die Technologie in gegenwärtigen Herrschaftskonzepten wie der Smart City hat, nicht nur einen ökonomischen Faktor oder eine unter vielen Kontrollmethoden dar, sondern repräsentiert auch eine Ideologie, welche die Technologie als Allheilmittel sieht. Nein, nicht nur als Mittel, sondern als Selbstzweck, als eine Komponente, der durch ihre omnipräsente Einpflanzung auch eine omnipotente Macht zukommt. Die Methode der Statistik sieht in jedem noch so kleinen Aspekt Daten, die potentiell erhoben werden könnten, was durch das Vernetzen von Computersystemen und deren immer größer werdende Rechenkraft und kleiner werdende physische Größe auch versucht wird. Die Digitalisierung ermöglicht die Einspeisung all dieser Daten, die dank Chips und Internet schließlich allem eine zugehörige Nummer zuweisen können. Nach den Ansprüchen der Herrschaft werden diese Daten dann mittels Computern ausgewertet, gefiltert, in Statistiken gepresst – um schließlich ein exaktes Terrain zu zeichnen, innerhalb dessen reguliert, sanktioniert, ausgelesen und optimiert werden kann. Eine allumfassende, sanfte Herrschaft, die Dank der alles erfassenden Technologien, alles im Blick behält und auf alles je nach Belieben Einfluss ausüben kann – am besten präventiv.

Die Macht dieser Technologie kristallisiert sich weniger in der Person des Technokraten – des Spezialisten, der als einziger das Wissen, die Erlaubnis und letztendlich auch das Verantwortungsgefühl dafür hat, die technologische Stadt in Stand zu halten und zu verändern – als in der Materie der Stadt selbst. Eine Materie, die samt ihrer Kabel, Antennen, Chips und Netze nicht nur überall ist – die also totalitär ist – sondern auch im doppelten Sinne eine diktatorische ist; also eine materielle Diktatur: Einerseits übt sie durch zwar milden, aber unnachgiebigen Zwang einen immerwährenden Druck auf jede*n Einzelne*n aus: Stets verbunden und verpflichtet, empfänglich und folgsam, zuhörend und gehorsam zu sein – gegenüber dem nächsten Arbeitsauftrag, dem Fahrplan, den News. Durch die lückenlose Selbstoffenbarung gibt man alles preis – und macht sich so umso verdächtiger, wenn man mal etwas verheimlicht – und gewöhnt sich so an die ständige Präsenz einer Wanze in der Hosentasche und sieht einfach darüber hinweg, dass alle jene der Bewegungen, Beziehungen und Besprechungen, die im Netz stattfinden – sprich mittels oder oft schon in Anwesenheit von Geräten – gespeichert, analysiert, berechnet und vorhergesagt werden können.

Die technologische Materie wird mehr und mehr zum grundlegenden Mittel des Staates, um seine grundlegende Funktion ausüben zu können: Soziale Kontrolle. Die Ausübung von Macht geht weniger von einzelnen Uniformierten aus, sondern von einem so kleinteiligen und omnipräsenten technologischen Netz an sich, so dass diejenigen, die es betreiben, mehr die Rolle von Verwaltenden einnehmen, als die von Herrschenden. Und durch das stetige Weiterproduzieren und unhinterfragte Weiter-kaufen und -bauen ist die Macht, die von der Technologie repräsentiert wird, von je her totalitär, da sie stets danach strebt in jeden Lebensbereich und in jedes Lebewesen einzudringen (und über Leben und Tod entscheiden zu können – doch wir müssen nicht auf die Nanotechnologie oder Nukleartechnologie zeigen, um zu sehen was technologische Totalität bedeutet.) So ist das Projekt der Smart City ein kolossaler Schritt in die Richtung neue Technologien in jedem Aspekt des städtischen Raumes und somit in unserem Alltag und vor unserer Haustür zu installieren – und dieses technologische Netz so noch feiner, noch profitabler zu weben und uns alle und jede unserer Bewegungen einzufangen. Gleichzeitig wird bereits jetzt der Boden dafür präpariert, das Projekt der Smart City über die Grenzen eines einzelnen Viertels auszuweiten, indem die sozialen Auslese- und Säuberungsprozesse vorangetrieben werden, um die Unproduktiven, Widerspenstigen und delinquenten Störfaktoren zu verdrängen und so perfekten Rahmen für ungestörtes und nachhaltiges Profitieren vorzubereiten.

User oder Störfaktor?

Wenn die soziale Kontrolle innerhalb der Stadt einerseits darauf abzielt jeden technologischen Trend und jedes Stadtaufwertungsprojekt widerstandslos durchzusetzen, müssen wir die Möglichkeit wahrnehmen die technologischen Moden und Projekte zu hinterfragen und kollektiv zu verweigern. Dementsprechend müssen wir nach Möglichkeiten suchen uns die Straßen anzueignen und gemeinsam unkontrollierbar auf diesen zu bewegen und so mit unserer eigenen Kreativität, Widerspenstigkeit und unseren eigenen – der kapitalistischen Stadt gegenüber – offensiven Projekten auszufüllen. Sich die Straße zurückzunehmen heißt auch die über sie verfügenden Kontrollstrukturen und -instrumente anzugreifen und die sie ausfüllenden Warenflüsse lahmzulegen. Die sich stetig ausbreitenden technologischen Apparate und die von ihnen organisierte Techno-Gesellschaft ist nicht nur von ihren herumwuchernden Informationen und Ingenieur*innen abhängig, sondern auch von ihren Kabeln und Antennen, Warnanlagen und Schaltkästen, ihren Leitungen und Fahrzeugen. Warum eignen wir uns nicht die Fähigkeit an diese Stadt und ihre lebensfeindliche Technokratie lahmzulegen, indem wir ihre Systeme und Infrastruktur sabotieren? Indem wir im Kleinen wie im Großen mit ihrer andauernden sozialen Kontrolle und technologischen Herrschaft brechen und neue Möglichkeiten und Wege erkunden? Indem wir die Bauprojekte der Stadt angehen, die Straßen unserer Viertel unkontrollierbar machen und für einen Kurzschluss innerhalb der uns umgebenden Maschinengesellschaft sorgen?

Gegen die Smart City, gegen die technokratische Stadt und ihre Yuppies!

Legen wir die soziale Kontrolle lahm!