Wilder Widerstand – Aufständische Subsistenz

Fracking, Teersande, Sauergas, Flüssigerdgas (LNG) Umwandlungseinrichtungen und Pipelines; in jedem Fall scheint es, dass unsere indigenen Freund*innen im Norden bahnbrechenden und beständigen Widerstand gegen die neue Welle des Rohstoffextraktivismus und seine Verteilung leisten. So wie sie es darzustellen scheinen, ist diese nur ein neues Antlitz des Kolonialismus, aber nichtsdestotrotz ein altbekannter Feind.
Ich hatte das Vergnügen mit zwei nicht-indigenen grünen Anarchist*innen aus British Columbia zu sprechen, die in diese Camps involviert waren und diese unterstützen, und die in der Lage waren, uns mehr über diese Camps zu erzählen, über die Herausforderungen, die diese für Anarchist*innen und Nicht-Indigene darstellen, die Kontexte der Dekolonialisierung und effektive Formen des Widerstands, sowie, am wichtigsten von allem, die Rolle von Gemeinschaft und Subsistenz.
Das wirft eine Vielzahl von Fragen auf und ich hoffe sehr auf eine zukünftige Vertiefung dieser Diskussion und auch darauf, mehr indigene Stimmen zu diesem Thema zu hören […].
Interviewer: Kevin Tucker, veröffentlicht in Black & Green Review
Black & Green Review (BGR): Könnt ihr einen Überblick über einige der indigenen Kämpfe gegen den Energieextraktivismus und dessen Verteilung geben, die dort oben stattfinden?
Bei der Region, über die wir reden handelt es sich um den nordwestlichen Teil des sogenannten British Columbia. Es ist die Heimat vieler verschiedener indigener Nationen (Gitxsan, Tsimshian, Wet’suwet’en, um nur einige zu nennen), die hier seit tausenden von Jahren gelebt haben, bevor die kolonialen Kräfte ankamen. Die meisten dieser Territorien sind “nicht-abgetreten”, was bedeutet, dass die Völker sich nie ergeben haben oder ihre Landen an die Invasoren übergeben hätten. Es gibt keine vertraglichen Abtretungen hier. Teil des anhaltenden Prozesses der Kolonisierung in Kanada sind die Siedlerstaats-Institutionen des Indian Act von 1876 gewesen, darunter auch das Stammesratssystem. Dieses System wurde und wird auch weiterhin dazu genutzt, die traditionellen Systeme der Entscheidungsfindung, jene, die bevor und in Opposition zu den Werten der kapitalistischen kolonialen Gesellschaft existiert haben, zu untergraben. Trotzdem werden traditionelle Systeme und Kulturen noch immer weitgehend außerhalb der von der kolonialen Regierung auferlegten Beschränkungen praktiziert.
Diese Region hat eine lange Geschichte des Widerstands gegen Ressourcenextraktionsprojekte. Wir reden vor allem von drei der aktiveren Camps in unserer Region: Das Unist’ot’en Camp, Madii Lii und Lax U’u’la. Die hier ausgedrückten Ansichten repräsentieren diese Camps nicht, sondern basieren auf unseren individuellen Erfahrungen. Auch ist jedes dieser Camps einzigartig und unterscheidet sich ziemlich von den anderen.
Das Unist’ot’en Camp
Vermutlich die bekanntesten Akteure des zunehmenden Widerstands der Indigenen im Norden, definieren sich die Unist’ot’en als “gewaltfreie Besetzung des nicht-abgetretenen Territoriums der Unist’ot’en. Besuchenden gegenüber wird das FPIC (freie, vorherig und informierte Zustimmung) Protokoll durchgeführt, um deren vollständige Jurisdiktion zu zeigen.” Dieser Ausdruck als eine physische Blockade gegen die industrielle Ausbreitung in ihr Territorium begann im Jahre 2010, als die Pacific Trails Pipeline (PTP) geplant wurde, ihr Territorium zu durchqueren (sowie das von 16 anderen indigenen Nationen), um Fracking-Gas aus dem Nordosten der Provinz über eine 480 Kilometer lange Pipeline zu einem noch zu genehmigenden Export-Terminal an der nördlichen Küste zu transportieren.
Über die Jahre ist die Unterstützung für die Unist’ot’en aufgrund einer Vielzahl von Faktoren, darunter ihre aufrichtige Hingabe und ein kluger Einsatz sozialer Medien, exponentiell gewachsen, aber der größte Faktor dafür war meiner Meinung nach ihr alljährliches Aktionscamp, das die Menschen zu ihrem Kampf, wie sie ihn definieren, einlädt und ihn vorstellt, und den Menschen die Gelegenheit gibt, sich mit einer ernsthaften Erfahrung der Dekolonialisierung und Wiederverbindung mit dem Land zu konfrontieren.
Obwohl der Ort oft als Unist’ot’en Camp bezeichnet wird, betrachten sie sich selbst nicht als “Protest oder Demonstration”, sondern als die Besetzung und Nutzung ihres traditionellen Territoriums auf die Weise, auf die ihr Clan das seit Jahrhunderten getan hat. Dieser Punkt ist entscheidend dafür, ihren Ansatz zu verstehen: Es ist kein Aktivismus; Es ist ihr Leben und sie fordern den gesamten Kolonialstaat Kanada heraus.
Madii Lii
Madii Lii ist ein Traditionelles Territorium der Luutkudziiwus Hausgruppe, die Teil der Gitxsan Nation ist. Das Madii Lii Camp wurde im August 2014 errichtet, um das Territorium permanent für den industriellen Ressourcenextraktivismus zu schließen, sowie um ihren Territoriumsverwaltungsplan umzusetzen. Es liegt im Tal des Suskwa Rivers etwa 35 Kilometer außerhalb der Stadt Hazelton. Dort wurde ein Basislager errichtet, das aus einer großen dauerhaften Hütte mit Gewächshäusern und einem Garten besteht. Ein schweres Metalltor wurde auf der Brücke, die den Suskwa River überquert, installiert. Diese Brücke ist die einzige Straße in das Territorium hinein und ist nun unter vollständiger Kontrolle der Familie und Freundeskreis der Hausgruppe.
Der derzeitige Plan, gegen den Madii Lii kämpft, ist das Prince Rupert Gas Transmission Projekt, das zu TransCanada gehört. Dabei handelt es sich um eine 900 Kilometer lange Frackinggaspipeline (LNG), die aus den Fracking Bohrlöchern im Nordosten von British Columbia kommen soll und zu dem geplanten LNG Terminal auf Lelu Island führen soll. Die PRGT Pipeline hat die Bewilligung der Bundesregierung erhalten, unter dem Vorbehalt, dass die PNW LNG Raffinerie auf Lelu Island ebenfalls bewilligt wird.
Zu Beginn wurden die Pipeline-Gutachter aus dem Territorium geworfen und seither hat das Camp die Industrie erfolgreich daran gehindert, es zu betreten, oder Arbeiten auf dem Territorium durchzuführen. In Abwesenheit der Industrie, die “an die Türen hämmert”, war das Camp in der Lage, sich auf Jagen, Fallenstellen, Fischen und wilde Nahrungssuche zu konzentrieren. Außerdem richten sie Veranstaltungen aus, die die Jugend wieder mit ihrem Territorium verbinden sollen. Ein weiterer Fokus lag auf Infrastruktur, etwa weiteren Hütten, einem großen Räucherhaus für die Verarbeitung von Lachs und Elch, ebenso wie Pläne ein kleines Wasserrad zu installieren, um Strom für die Hütte zu erzeugen. Die Mitglieder führen derzeit einen Gerichtsprozess, ebenso wie sie um gerichtlichen Rechtsschutz für ihr Projekt ersuchen.
Lax U’u’la
Im späten August 2015 gründete eine Crew aus Frauen der Blutlinien der Tsimshian, Haida, Nisga’a und Gitxsan die Verteidigung von Lax U’u’la (Lelu Island) und des Flora-Ufers gegen die Zerstörung durch die LNG-Industrie. Die Sm’ogyet Yahaan (traditionelle Anführerin) und die Ligitgyet Gwis Hawaal (traditioneller Hausvorstand) des Gitwilgyoots Stamms und ihre Familien starteten ein Verteidigungscamp auf Lax U’u’la, was traditionelles Jagd- und Fischerei-Territorium der Gitwilgyoots ist. Zu ihnen stießen auch verschiedene bedeutende Personen von anderen Stämmen der Tsimshian, sowie eine diverse Crew aus indigenen und nicht-indigenen Unterstützer*innen von außen.
Dieses Camp wurde errichtet, um die weitere Zerstörung ihres Landes zu verhindern, da Petronas und Pacific North West LNG (PNW LNG) planen, auf Lax U’u’la eine 11 Milliarden schwere Flüssigerdgas (LNG) Raffinerie zu errichten, an der Mündung des Flusses Skeena, bei Prince Rupert, BC gelegen. Sie haben seit 2012 archäologische und ökologische Gutachten durchgeführt, die in mehr als hundert Testbohrungen und Rodungsblöcken bestanden, wobei auch zahlreiche kulturell modifizierte Bäume gefällt wurden. Diese Raffinerie soll von drei Pipelines gespeist werden, inklusive der kürzlich von der Provinz genehmigten Prinz Rupert Gas Transmission (PRGT) Pipeline, die TransCanada gehört und die mehrere Indigene Territorien durchqueren soll und im Madii Lii Camp auf den Widerstand der Gitxsan stößt. Nicht nur die Sm’ogyet Yahaan ist gegen diese geplante LNG Raffinerie, auch die 9 verbündeten Tsimshian Stämme von Lax Kw’alaams wendeten sich unermüdlich gegen sie und lehnten bei drei separaten Treffen in Lax Kw’alaams, Vancouver und Prince Rupert ein Angebot von Petronas über 1,25 Milliarden Dollar ab. Dessen ungeachtet haben Petronas/PNW LNG in Vorbereitung des Baus der LNG Raffinerie versucht, Umwelt- und Ingenieurgutachten rund um Lax U’u’la anzustellen, die auch Testbohrungen beinhalten, die aktiv das Habitat zerstören, das für all den Lachs, der die Wasserscheide des Skeena durchquert, so wichtig ist.
Das geplante Projekt muss von der Bundesregierung noch immer genehmigt werden, die bis Ende Juni 2016 entscheiden will, ob es genehmigt wird oder nicht. Der Stammesrat der Lax Kw’alaams hat kürzlich seine Unterstützung für das Projekt ausgedrückt, ohne die Dorfmitglieder der Lax Kw’alaams dazu befragt zu haben, oder ihre Zustimmung zu haben. Als Antwort auf dieses Statement hat die traditionelle Anführende der Gitwilgyoots gesagt: “Wir sind von unserem gewählten Anführer verraten worden. Gewählte Stammesräte haben keine Verfügungsgewalt über Reservatsland. Die juristischen Präzedenzfälle vor dem Obersten Gerichtshof Kanadas wurden alle zugunsten der traditionellen Anführer*innen entschieden und wir werden bis zum Ende kämpfen, ob der Stammesrat auf unserer Seite ist oder nicht.”
Bis heute hat der Widerstand gegen das Projekt von Petronas/PNW LNG hauptsächlich auf dem Wasser stattgefunden. In der Praxis hat das vor allem die Form angenommen, zu versuchen die Arbeiter*innen daran zu hindern irgendwelche Arbeiten durchzuführen und Umwelt- und Ingenieursgutachten zu stören. Das bedeutet Umweltgutachter*innen von den Ufern der Flora und Agnew zu eskortieren, das Bohrungsboot daran zu hindern die Ufer zu befahren und darin zu ankern, Mietboote auszubremsen oder zurückzuschicken, die Arbeiter*innen zu den Lastkähnen bringen. Anfang Februar 2016 haben die letzten Bohrschiffe angeblich 7 Testlöcher an den Ufern gebohrt, weit weniger als ihr Ziel.
Es gibt auch Widerstand durch die Wiederbehauptung von Lax U’u’la als ein Ort der Heilung und Zeremonie. Beständig wird Infrastruktur errichtet und es gibt andere Vorbereitungen zur Verteidigung der Insel selbst (die auch dazu dient, Aktionen zu Wasser aufrechtzuerhalten und auszudehnen). Verschiedene Strukturen wurden errichtet, und wenn es erst einmal weniger beständige Konfrontation gibt, sollen diese Räume als ein Ort dienen, die Jugend über die Lebensweise ihrer Vorfahren auf dem Land zu unterrichten und von den anhaltenden Traumata der Kolonisation zu heilen.
Obwohl sie hunderte Kilometer voneinander entfernt liegen, sind diese Camps alle Teil der gleichen Wasserscheide. Madii Lii verteidigt das Quellgebiet des Suskwa Flusses, an dem das Camp liegt, ebenso wie sich die Unist’ot’en am Wedzin Kwa (Morice River) befinden. Es hat auch Verteidigungscamps des Tahltan Volkes in der Region ihrer Territoriums gegeben, die als “Die Heiligen Oberwasser” bekannt ist, und wo der Skeena entspringt. All das sind Nebenflüsse, die in den Skeena fließen, der zur Küste fließt und am Lax U’u’la Verteidigungscamp in den Ozean strömt. Junger Lachs ernährt sich am Flora Ufer und reift dort heran, um schließlich zum Laichen an den Ort seiner Geburt zurückzukehren, flussaufwärts, vorbei an diesen Camps.
Diese indigenen Verteidigungslager verteidigen nicht nur ein Territorium, sondern auch eine Lebensweise und wir, als nicht-indigene Anarchist*innen (die wir ebenfalls der Kolonialisierung unterworfen waren), sind gut beraten, selbst eine nährende Lebensweise durch aufständische Subsistenz zu erlernen und zu erschaffen.
BGR: Wie hat die nicht-indigene anarchistische Beteiligung und Unterstützung bisher ausgesehen?
Die anarchistische Beteiligung und Unterstützung variierte sowohl hinsichtlich ihres Ansatzes, als auch ihrer Form, von organisierten Gruppen zu informellen Crews und Individuen, von Spendensammlungen, Solidaritätsaktionen und physischer Anwesenheit in den Camps. Der Ort der Camps ist für viele Menschen in Kanada, die nahe des 49. Breitengrads leben und kaum Erfahrungen mit der Umwelt/Kämpfen außerhalb von Städten haben, sehr abgelegen. Eine der größeren Hürden, die wir feststellen besteht darin, zu lernen wie man aufrichtig mit Menschen eines Sozialsystems umgeht, das ein paar grundlegende anarchistische Werte missachtet. Die Indigenen Gesellschaften der Westküste sind größtenteils hierarchisch und historisch war beispielsweise das Halten von Sklav*innen eine gängige Praxis. Unsere kulturellen Bezugspunkte und Verständnisse sind verschieden und das kann zu Problemen führen.
Die Camps zu unterstützen hat einige interessante Situationen im Hinblick auf die persönliche Sicherheit mit sich gebracht. Als Anarchist*innen beteiligen wir uns in der Regel an Aktivitäten und Aktionen mit Personen, die wir kennen und denen wir vertrauen und enge Affinität ist oft eine Anforderung zur Umsetzung bestimmter Vorhaben. Nichtsdestotrotz werden diese Protokolle in der Hitze des Gefechts manchmal über Bord geworfen, wenn mit einem plötzlichen Konflikt umgegangen werden muss. Das Bauchgefühl übernimmt und man hofft auf das Beste. Diese Kämpfe sind nicht entkoppelt von allgemeinen Debatten, wie sie in anderen Bewegungen stattfinden. Beispielsweise Debatten über Gewalt vs. Gewaltfreiheit, Differenzen hinsichtlich von Taktiken oder Langzeitstrategien und Meinungsverschiedenheiten darüber, ob man mit Bullen und Justiz zusammenarbeiten sollte sind die ganze Zeit präsent, aber diese Camps bestehen aus vielen unterschiedlichen Individuen mit einer Vielzahl von Ideen und durch die Zusammenarbeit mit den Leuten und den Aufbau von Beziehungen und Vertrauen entdeckt man viele Affinitäten.
BGR: Könnt ihr ein bisschen was über die Methoden, die in diesen Kämpfen genutzt werden, erzählen? Und besonders könnt ihr etwas darüber erzählen, wie diese Camps und Gemeinschaften sich tatsächlich gegenseitig, ebenso wie das Land unterstützen, während sie möglicherweise die traditionellen Aspekte ihrer Gesellschaften wiederbeleben?
Der Widerstand gegen Ressourcenextraktionsprojekt ist in dieser Region weitestgehend von indigenen Gemeinschaften angeführt worden. Oft basiert er auf der Verteidigung eines traditionellen Territoriums, das das traditionelle Entscheidungsfindungssystem nicht abgetreten oder anderweitig aufgegeben hat. Eine übliche Methode dabei ist, es ein Camp oder ein kleines Dort direkt im Weg des geplanten Projektes zu errichten und dann die traditionellen Sozialsysteme zu behaupten, indem sie direkt vor den Augen des kolonialen Systems praktiziert werden. Wenn man sein Leben rund um Widerstand führt, dann ist das nicht länger eine gesonderte Aktivität, die man in seiner Freizeit macht. Es wird ein untrennbarer Teil von dir.
Im Unist’ot’en Camp beispielsweise haben die Menschen dort nun seit Jahren gelebt und den Besitz ihrer traditionellen Lande behauptet. Die dort errichtete Infrastruktur erlaubt es den Menschen das ganze Jahr dort zu leben und Essen anzubauen und zu sammeln. Zugleich versucht die Industrie beständig über die Straße oder mit dem Helikopter in das Territorium einzudringen und die Menschen sind nur aufgrund der permanenten Besetzung des Camps in der Lage dazu, die Industrie bei jedem versuchten Eindringen rauszuwerfen. In Lax U’u’la waren die Leute, die dort Tag und Nacht blieben, in der Lage eine regelmäßige Patrouille über die Insel und die umgebenden Gewässer zu etablieren. Die Versuche der Firmen wurden regelmäßig gestört und verzögert, wenn nicht ganz abgebrochen. Die Firmen wissen nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen, wo dies so offensichtlich die angestammte Heimat einer Gruppe von Menschen ist. Die Bullen sind ebenfalls verunsichert, wie sie mit diesen Camps umgehen sollen, worüber wir später ausführlicher sprechen werden.
Diese Arten von Widerstandscamps eröffnen auch Möglichkeiten, die es in anderen Kämpfen nicht unbedingt gibt. Die Zeit zwischen Konfrontationen mit der Industrie bietet die Möglichkeit sich auf das Erlernen von traditionellen und nicht-traditionellen Fertigkeiten zu konzentrieren, für die man sonst keine Zeit hätte oder in die man zumindest sonst bewusst Zeit investieren müsste. Auf Lax U’u’la umfassen die Methoden, mit denen die industriellen Bohrunterfangen gestoppt werden, Fischen und das Aufstellen von Hummerfallen. Im Unist’ot’en Camp ist eine Reihe von Fallen entlang des geplanten Verlaufs der Pipeline installiert. Es gibt auch sehr interessante Gelegenheiten für nicht-indigene, ebenso wie indigene mehr über die traditionellen Systeme und Kulturen zu erfahren, die die Kolonialisierung so sehr auszulöschen versucht hat.
BGR: Was hat euch die Beteiligung und Unterstützung dieser Kämpfe über die Wichtigkeit und Natur der Dekolonialisierung als nicht-indigene Anarchist*innen gelehrt?
Zunächst einmal, zeig mir ein kolonisierendes Volk, das nicht zuvor selbst enteignet und kolonialisiert worden ist. Im Kampf gegen den Rohstoffabbau in British Columbia vernehme ich von vielen Menschen die Auffassung, dass es an den indigenen Menschen wäre, diese Projekte zu stoppen, weil sie einerseits legale Verfügung über diese Landen hätten, während Nicht-Indigene dort nichts zu sagen und keine Rechte haben, und andererseits gibt es die Vorstellung, besonders hier bei den Pipelinegegner*innen im Norden, dass die Indigenen ein souveränes Volk sind, die selbstbestimmt handeln könnten.
Die alltäglichen Leben und der Verstand von Nicht-Indigenen sind so tiefgreifend kolonisiert, dass von Selbstbestimmung, Selbstorganisation, Autonomie und Freiheit für uns zu sprechen als eine Abstraktion betrachtet wird, die es nicht wert ist, in Erwägung gezogen zu werden. Die Angst vor den Konsequenzen dominiert.
Aus meiner Sicht wird eine Bewegung in Richtung Dekolonialisierung seitens der indigenen Menschen niemals Erfolg haben, wenn es nicht eine parallele Bestrebung seitens der Mehrheitsbevölkerung, d.h. vor allem Nicht-Indigenen gibt.
Zu glauben, dass Indigene frei und selbstbestimmt auf dem Land werden könnten, während der Rest von uns in einem Zustand gehorsamer Lohnsklav*innen verbleibt, die ihr Essen und ihre Werkzeuge bei Walmart und Home Depot einkaufen, Häuser kaufen oder von Vermieter*innen mieten, von der Polizei, Gefängnissen und politischen Parteien regiert werden und dem kanadischen Staat die Treue schwören, ist absolut unrealistisch.
Nun, wir müssen damit beginnen auf eine echte Art und Weise sowohl den Widerstand gegen die industriellen Angriffe zu teilen, als auch die Scheiße der Repression, sowie die Schönheit und die Fülle der Subsistenz. Also gewissermaßen haben wir damit bereits begonnen. Wir wurden bereits eingeladen, den Lachs, Elch und die Beeren zu teilen und wir bieten unsere Hilfe bei konkreten Dekolonialisierungsprojekten und Strategie-, sowie Taktikdiskussionen an.
Aber wir wollen kein allzu rosiges Bild davon zeichnen, wie die Dinge stehen. In leviathanischen Zeiten sind die Dinge immer unschön und kompliziert. Es muss eine enorme Menge an Heilung geschehen, bevor eine Kraft erschaffen werden kann, die es mit dem Staat aufnehmen kann. Und zwar auf beiden Seiten der Trennung.
Die Reservate in der Nähe meines Wohnortes haben die höchsten Selbstmordraten in British Columbia. Ich denke ein Ort, an dem wir am meisten gebraucht werden, ist bei der Hilfe der Schaffung einer einladenden Infrastruktur (Pfade, Behausungen, Geldmittel, Outdoor-Ausrüstung, Skills, Workshops, usw.), um die Jugend aus der Sackgasse des Elends, die in den Reservaten und auf dem Land vorherrscht, herauszubekommen. Als Nicht-Indigene brauchen wir das Gleiche.
Wir müssen mehr als jemals zuvor Situationen erleben, in denen wir unsere individuelle und kollektive Macht erfahren können und einen Eindruck davon gewinnen können, wie sich eine Existenz außerhalb und gegen den Staat anfühlt. Eine Widerentdeckung unseres Kampfgeistes und das Vermögen zu gegenseitiger Hilfe.
Und nebenbei bemerkt brauchen wir Hoffnung, Liebe und den Aufbau von Respekt, Verständnis und Vertrauen. Ich habe zu oft gesehen, wie beide Seiten einander als Kanonenfutter, für mediale Bilder und als legale Schutzschilder missbraucht haben. Wir müssen damit aufhören, einander als Objekte und Waren zu missbrauchen und anfangen, einander als menschliche Individuen, als Menschen zu behandeln, jede*r mit unseren eigenen Stärken und Schwächen, unseren Erkenntnissen und blinden Flecken, jede*r mit unterschiedlichen Kontexten und verschiedenen Geschichten, die wir teilen können. Begegnungen im kleineren Kreis, von Angesicht zu Angesicht über eine längere Zeit hinweg, ermöglichen das im großen Stil.
Zusammen und jede*r für sich können sowohl Neuankömmlinge, als auch Indigene die Glut der Gemeinschaft und der Verschwörung entfachen, können zusammen pusten, um die Flammen auflodern zu lassen, die schließlich die zivilisierten Lebensweisen zu kalter Asche werden lassen, die vom Wind unserer Sehnsüchte verstreut wird.
BGR: Wie hat die Reaktion auf diese Camps ausgesehen? Könnt ihr ein bisschen über die Repression und Gegenreaktion sprechen?
Bisher ist die Repression verglichen mit anderen Situationen wie der in Oka und Gustafsen Lake relativ mild ausgefallen. Konfrontationen sind üblicherweise verbaler Natur, aber die Gefahr einer Eskalation besteht immer. Im letzten Sommer haben beispielsweise zwei Polizisten der RCMP versucht, das Unist’ot’en Camp zu betreten und wurden von den Verteidigenden sehr nachdrücklich zum Umkehren gebracht. Kurz danach wurde geleakt, dass die RCMP eine Großrazzia des Camps plante. In den benachbarten Städten Smithers, Houston und Burns Lake wurden von den Bullen Hotelzimmer gebucht und in zahlreichen Regionen wurden Militärfahrzeuge entdeckt. Die RCMP errichtete ihre eigene Straßenblockade und belästigte alle, die auf dem Weg in das Unist’ot’en Territorium hinein oder heraus waren. Es wurde ein großer Unterstützungsaufruf veröffentlicht, das Camp füllte sich mit Unterstützer*innen und die Vorbereitungen zur Verteidigung des Camps nahmen zu. Überall im Land gab es Solidaritätsaktionen und gerade als alle dachten, dass die Lage eskalieren würde, zog sich die Polizei vollständig zurück. Bis heute hat die Razzia nicht stattgefunden und die Unterstützung wächst immer weiter.
Auf Lax U’u’la droht die Polizei jedes Mal damit “reinzukommen” und Verhaftungen durchzuführen, wenn sich der Konflikt auf dem Wasser zuspitzt, aber bisher gab es keine Verhaftungen, obwohl berichtet wurde, dass es zahlreiche offene Verfahren gäbe, in denen ermittelt werde. Industrielle Schiffe und Sicherheitsdienstboote rammen mit ihren Booten oft die Verteidiger*innen auf dem Wasser. Es gab zahlreiche Versuche ihrerseits die Kanus der Verteidiger*innen zum Kentern zu bringen und Highspeedbootjagdten kamen häufiger vor. Sie sind im Grunde eine Art physische Verteidigung der industriellen Bohr-Lastkähne. Es gibt eine weitreichende Überwachung, die dazu führt, dass Leuten nachgestellt wird und es Hausbesuche der RCMP gibt, die versuchen Informationen über Personen oder Ereignisse zu bekommen. Das erzeugt auch psychischen und finanziellen Stress, wie in einem Fall, bei dem ein*e Teilnehmer*in des Camps deshalb seinen*ihren Job verloren hat. Es kam auch vor, dass die Menschen bei entlegenen Wildcamps Besuche von den Behörden bekamen. Sie wollen einen immer wissen lassen, dass sie zuschauen.
Es ist nun eine allgemeine Praxis für die meisten Industriearbeiter*innen, entweder von einer privaten Sicherheitsfirma begleitet zu werden, die jede Interaktion filmen und den Ton aufnehmen, oder die Arbeiter*innen tragen selbst zum Zwecke der Überwachung Kameras an der Brust. Eine Frage, die die Sicherheitsdienste oder das Industriepersonal immer wieder und bei verschiedenen Camps stellt, ist, ob sie in Gefahr wären oder ob ihre persönliche Sicherheit gefährdet ist, solange sie auf dem Territorium sind. Damit versuchen sie einen Vorwand zu finden, unter dem sie mit Gewalt eindringen können.
Neben den meist positiven Reaktionen von Anwohner*innen gibt es eine Reihe von Leuten, die von den Camps genervt sind. Bestimmte, fehlgeleitete Individuen fühlen sich dazu berechtigt, ungehinderten Zugang zu diesen Territorien zu haben, weil “das Kanada ist!” oder “Ich zahle Steuern und das ist ein freies Land!” Großteils sind die Leute wohlgesonnen, aber es gab ein paar aggressive Konfrontationen mit Anwohner*innen. In Madii Lii gab es mindestens einen Versuch, das Tor aufzuschneiden und einige Leute drohten damit, die Hütte niederzubrennen. Im Unist’ot’en Camp wurden ein paar Schilder am Checkpoint auf der Brücke mit Brandbomben beworfen und erst kürzlich warf jemand die Scheiben des Checkpoint-Gebäudes ein. Auf Lax U’u’la ist es sogar zu Faustkämpfen mit pro-industriellen Anwohner*innen gekommen, sowie zu Todesdrohungen von einem mit einem Messer bewaffneten Individuum. Wenn eine Region oder ein Territorium beansprucht wird, dann führt das den Leuten die koloniale Situation deutlich vor Augen.
BGR: Welche Perspektive seht ihr darin, dass die Intensivierung der Methoden der Ressourcenextraktion auf diese Art von kommunalem Widerstand stößt?
Die unendlichen Ansprüche der Zivilisation benötigen den industriellen Ressourcenextraktivismus, um sich bis zum Punkt der vollständigen Domestizierung der Erde auszudehnen. Das Potenzial für einen indigenen Aufstand in Kanada wird von den Autoritäten seit Jahren hoch eingeschätzt und wo die industrielle Entwicklung mehr und mehr traditionelles Land erstickt, nähern wir uns schnell dem Siedepunkt.
Als Antwort auf ähnliche Pipelineprojekte in diesem Sommer erwarten wir zwei weitere Widerstandscamps in der Region. Das ist etwas, was wir meiner Meinung nach häufiger sehen werden. Kleine Kessel des Widerstands poppen überall an einem Ort auf, bis sie schließlich eine Region sättigen. Ganze verteidigte Regionen grenzen an andere verteidigte Regionen und werden effektiv zu befreiten autonomen Gebieten. Wenn man die Blockade überquert, dann hat man ein so deutliches und inspirierendes Gefühl, dass man nicht mehr in Kanada ist. Die Gesetze und Regeln des Staates werden nicht mehr befolgt. Es gibt Leute, die den Zugangspunkt verteidigen und bereit sind, sich gegen die eindringenden Autoritäten zur Wehr zu setzen. Einige Leute errichten Infrastruktur, einige gehen jagen und manche kochen Essen.
Das und mehr sind alles notwendige Aktivitäten, um eine gesunde Gemeinschaft zu erschaffen und zu verteidigen. Es gibt einem eine Vorstellung davon, wie sich Freiheit tatsächlich in einem autonomen Kessel des Widerstands außerhalb des kolonialen Gesetzes anfühlen könnte. Die Fähigkeit, die eigene Lebensweise zu bestimmen, basierend auf einem gesunden Habitat in dem wir leben und das wir verteidigen.
BGR: Warum denkt ihr, haben sich diese Methoden nicht über indigene Widerstandskämpfe hinaus verbreitet?
Die Taktik der Straßenblockaden und der Errichtung von Camps zum Schutz und zur Wiederbesetzung des Territoriums hat eine lange, reichhaltige Geschichte innerhalb des indigenen Widerstands gegen den kanadischen Staat. Wenn also direkte Aktion gefragt ist, dann gibt es eine Tradition, auf die man zurückgreifen kann. “Hey, lasst uns tun, was Großmutter getan hat!”, oder “Erinnert ihr euch daran, als Tante und Onkel diese Eisenbahnlinie blockiert haben?” Das zeigt den Wert davon, Beispiele zu schaffen. Zur Zeit werden viele dieser Aktionen nach wenigen Tagen oder Wochen der Verhandlung brutal niedergeschlagen.
Was gerade in British Columbia passiert, ist, dass es eine legale “Grauzone” darüber gibt, wer das Land besitzt. Abgesehen von den Treaty8 im Nordosten von British Columbia erstreckt sich der größte Teil der Provinz gemäß Britischem Recht über nicht-abgetretene, nicht-kapitulierte und nicht-übertragene indigene Ländereien. Sowohl der The British North America Act, als auch die The Royal Proclamation sind in der kanadischen Verfassung verbrieft.
150 Jahre lang hat die provinzielle Regierung die Notwendigkeit eines Vertrags für den legalen Landbesitz verleugnet. Offiziell ist British Columbia zu 92% provinzielles Kronland, zu einem Prozent Bundeskronland und zu 7% in privatem Besitz.
Das erschuf ein Klima der Unsicherheit für Investor*innen, die tatsächlich solide, legale Urkunden für ihre Geschäfte haben wollen. Um ein “sicheres Investitionsklima” zu schaffen, stieß die Regierung von British Columbia 1992 den sogenannten BC Treaty Prozess an, der darauf abzielte, den juristischen “indigenen Landanspruch” auszulöschen, die Reservate in Kommunalbesitz und Firmeneigentum zu überführen (die sogenannten “First Nations”) und mit der kapitalistischen Ressourcenausbeutung und Entwicklung fortzufahren.
Es erübrigt sich zu sagen, dass das nicht reibungslos abgelaufen ist und noch lange nicht in trockenen Tüchern ist. Nach 23 Jahren der Verhandlung und Millionen an Rechtskosten haben nur sehr wenige Stämme Vertragsabkommen abgeschlossen.
Um einen langen, manipulativen, langweiligen Gerichtsprozess zusammenzufassen: Es gibt nun einen anerkannten “Indigenen Anspruch”, ähnlich dem eines Privateigentümers, wobei der “Grundbesitz”, eine abstrakte Entität, besessen wird und das tatsächlich existierende Land aufgrund des Allod-Anspruchs vom Nationalstaat, zu dem es gehört, besessen wird, ungeachtet eines übergeordneten Eigentümers. Diese Interpretation des indigenen Anspruchs wird nun wieder von den indigenen Völkern vor kanadischen und internationalen Gerichten angefochten.
Die “First Nations” werden nun zu den Dialogen an den Tischen der Macht als Eigentümer und Interessenspartei eingeladen, sie müssen legalerweise für alle Geschäftstätigkeiten, die auf ihren angestammten Territorien stattfinden, konsultiert und entschädigt werden. Zumindest ist das die offizielle Linie. Die Realität ist vielmehr, dass sie gelackmeiert und beleidigt werden und ein paar tausend Kröten pro Stammesmitglied im Austausch für ihr Land und ihre Ressourcen erhalten.
Entschuldigt diese langen juristischen und historischen Ausschweifungen, aber das ist die offizielle Ecke der Realität, in die die indigenen Völker in British Columbia gedrängt wurden und abgesehen von der entschlossenen Haltung der Menschen selbst, hilft das dabei, zu verstehen, warum Camps wie das was der Unist’ot’en Clan errichtet hat, sechs Jahre später noch existieren können.
Der Staat wartet ab, verhandelt, erschafft und findet seine Geschäftspartner innerhalb der assimilierten Schicht indigener Bevölkerung. Brauchen wir nicht alle Jobs? Sie arbeiten hart dafür, ein Bild der Unterstützung zu erschaffen, indem sie mit einer finanziellen Karotte wedeln, um die Bevölkerung zu verwirren und die nicht-fügsamen Indigenen, die kein Preisschild haben, aus dem Weg zu räumen.
Was nicht-indigene Straßenblockaden oder Camps angeht, gibt es keine legalen Unklarheiten oder Verhandlungen, die zu führen wären. Sie werden schlicht als widerrechtliches Betreten oder Blockade einer öffentlichen Straße betrachtet und das Gesetz schreitet prompt ein. Zudem gibt es ein verbreiteteres Selbstbild als brave, gesetzestreue und vernünftige Bürger*innen in der nicht-indigenen Bevölkerung und eine Geschichte der pazifistischen und zivilen Ungehorsamkeitspraktiken innerhalb der Umweltbewegung. Dazu kommt ein ästhetischer und zugehöriger Wertansatz gegenüber der Natur (die Erschaffung von Naturschutzgebieten und Nationalparks) anstelle von oder zusammen mit einem Subsistenzansatz, bei dem die Menschen eine aktive Beziehung zur Natur haben. Und schon erfreuen sich die riskanteren und ansprochsvolleren Taktiken auf dieser Seite der Landverteidigung keiner besonderen Popularität mehr.
Davon abgesehen hat es über die Jahre einige nicht-indigene Baumbesetzungen und Camps gegeben, um die Entwicklung aufzuhalten. Einige wurden von SWAT-Teams geräumt, die Maschinengewehre dabei hatten und auch einige indigene Blockaden wurden mit heftiger Repression aufgelöst.
Daher ist unser Ansatz gewesen, die Vorteile dieser juristischen Grauzone zu nutzen, um Dekolonialisierung auf beiden Seiten der Trennung zu bewerben, um auf unserem Standpunkt zu beharren und sowohl sozial, wie auch taktisch bereit zu sein, das Land, unsere Autonomie und unsere Subsistenz zu verteidigen. Wir haben dem nicht-indigenen Widerstand neue Beispiele gegeben.
BGR: Bei der Befürwortung von “Primal War” war es für mich stets wichtig, zu betonen, dass Widerstand und Verwilderung Hand in Hand gehen müssen. Das scheint für mich der Weg zu sein, aus dieser philosophischen und revolutionären Mentalität auszubrechen, bei der wir uns (theoretisch) ein Problem annehmen und dann zum nächsten weitergehen. Der Bruch kam für mich durch ein Verständnis davon, warum indigene Widerstandsbewegungen bis zum Tod kämpften und Revolutionär*innen sich den Galgen zuwandten: Die Menschen töten für Ideen, aber sie sind für ihre Gemeinschaft, für etwas, das sie kennen und fühlen bereit, bis zu ihrem Tod zu kämpfen.
Diese Art von Camps und gemeinschaftsbasiertem Widerstand hallt ewig wieder, wenn indigene Gesellschaften auf Zivilisationen treffen, wenn sie gezwungen sind, das beständige Wachstum und den Konsum zu konfrontieren. Gibt es hier eine Vorstellung oder ein Gefühl des Widerstands, das mit der Gemeinschaft verbunden ist? Werden die Camps und dergleichen als eine Erweiterung der Gemeinschaft wahrgenommen oder schlicht als eine Antwort auf eine Besatzung und Ökozid?
Wir müssen jedes der Camps separat betrachten und die Beteiligung der Gemeinschaft variiert ziemlich. Ich würde sagen, dass das ganze Spektrum abgedeckt ist, von einer sehr beschränkten Beteiligung (von nur wenigen Individuen) bis zur vollständigen Erschaffung einer Gemeinschaft. Wir haben gesehen, wie Gemeinschaften zusammenkommen, um Widerstand zu leisten, ebenso wie Gemeinschaften aus dem Widerstand geboren wurden. Nichtsdestotrotz wirft das die Frage auf: “Was ist Gemeinschaft?” Wir sollten indigene Gemeinschaften oder indigenen Widerstand nicht romantisieren. Die Kolonialisierung hat Indigene und Nicht-Indigene schwerwiegend beeinträchtigt und diese Bewegungen sind weit davon entfernt, makellos zu sein. Sie bestehen aus einer großen Bandbreite von Personen mit allen möglichen verschiedenen Hintergründen und Ansichten.
Im besten Fall hoffen wir, dass diese Kämpfe zu einer permanenten Wiederbeanspruchung und Besetzung der traditionellen Länder außerhalb des Kolonialstaats führen. Im schlechtesten Fall hoffen wir, dass diese Kämpfe bestimmte Aspekte der lokalen Gemeinschaften stärken und den Kampfgeist schaffen, der notwendig ist, um zu dekolonialisieren und der Zivilisation Widerstand zu leisten. Aber der Ansatz einer aufständischen Subsistenz ist nur das, die Neubildung/Entdeckung der Verbindung zwischen uns selbst und dem Land. Für einige Menschen ist diese niemals verloren gegangen, andere beginnen komplett von vorne und wir bilden unser Vertrauen und unsere Fähigkeiten durch diesen Kampf.
BGR: Was können wir, als nicht-indigene Anarchist*innen, davon lernen? Ist “aufständische Subsistenz” ein notwendiger Teil des Widerstands gegen die Zivilisation?
Was diese Kämpfe für mich als nicht-indigene*n Anarchist*in bekräftigt haben ist die Wichtigkeit einer Gemeinschaft, die mit solchen Kämpfen verbunden ist. Und obwohl das nicht immer möglich ist, kann die Entwicklung von Wurzeln gemeinsam mit anderen auf eine familiäre Art und Weise (nicht notwendigerweise auf Blut basierend, sondern basierend auf Affinität und Vertrauen) eine resiliente Grundlage für den Kampf gegen die Zivilisation sein.
Der Prozess der Zivilisation und Domestizierung beginnt mit Kolonialisierung, Enteignung, der Auslöschung der Kultur und der Ausmerzung von Autonomie, indem wir vom Land getrennt werden und eine Abhängigkeit geschaffen wird, durch einen Krieg gegen die Subsistenz. Dieser unausgerufene Krieg tobt seit Jahrhunderten und die Vorstellung einer “aufständischen Subsistenz” leistet nicht nur Widerstand gegen diesen Prozess, sondern kehrt ihn um. Wenn das gesamte Land in Privatbesitz ist oder dem Staat gehört, wenn Beeren von Forstunternehmen mit Chemikalien besprüht werden, wenn Jagd oder Fischen von bewaffneten Schlägern der Regierung poliziert wird, wenn jeder Baum “der Krone” gehört, dann richtet sich die Erlangung eines bestimmten Grads an Freiheit und Subsistenz definitiv gegen diesen Zustand und ein aufständischer Geist ist unvermeidbar.
Jede Region wird verschiedene Methoden des Widerstands gegen die Zivilisation hervorbringen, die am besten zu ihr passen. Obwohl die Notwendigkeit einer Autonomie im Hinblick auf Nahrung, Obdach, Medizin und Werkzeuge, inklusive der Notwendigkeit zu teilen, universell ist, können wir nur über Methoden für unseren eigenen Kontext sprechen und diese entwickeln.
Wilde Subsistenz ist großteils abhängig von einer gesunden, undomestizierten Landbasis. Nichtsdestotrotz dreht sie sich nicht nur darum Nahrung und Materialien aus der Wildnis zu ernten, sondern darum, eine tiefe Beziehung zu unserer Umgebung zu entwickeln und das kann überall passieren. Die Qualität dieser Beziehung ist dabei am wichtigsten, weil sie bestimmt, wie wir uns auf unsere Umgebung beziehen. Ohne sie können Materialien oder Nahrung, die zur Ernte zur Verfügung stehen, schlicht als Ressourcen zur Ausbeutung betrachtet werden.
Zivilisation, Kapitalismus und Kolonialismus gedeihen nicht nur aufgrund des Fehlens nährender Beziehungen, sondern sie verewigen und erzwingen auch negative und schädliche Interaktionen mit der gesamten Umwelt. Die fortgesetzte Umsetzung dieser Dynamik und die lähmenden Effekte, die sie auf uns selbst und auf unsere Habitate haben, bringen die sich immer weiter vergrößernde Notwendigkeit eines aufrichtigen Aufstands hervor, der dem Angriff gegen die Subsistenz und Freiheit ein Ende setzt.
BGR: Findet ihr Elemente der Hoffnung in diesen Kämpfen, die euch im größeren anarchistischen Milieu fehlen? Nicht im Sinne einer Naivität, sondern in dem Sinn, dass, wenn man von Gemeinschaft getrennt ist, es sehr viel einfacher fällt, einfach mit dem Strom des zivilisierten Lebens zu schwimmen und in der Sinnlosigkeit dieser hyper-technologischen Nicht-Realität eingeschlossen zu werden und einfach aufgeben zu wollen?
Ich habe in diesen Kämpfen Erfüllung und Inspiration gefunden, was ich in anderen anarchistischen Projekten nicht erlebt habe. In die Tätigkeiten der Subsistenz involviert zu sein, oder in den Konflikt eines Blockade-Camps, erzeugt so ein starkes Gefühl, etwas “Reales” zu erfahren. Wohingegen, wenn man nach Hause zurückkehrt, zur trostlosen Routine unserer vorgespielten Realität, das einem in Erinnerung ruft, dass die Existenz innerhalb der Zivilisation und des Kapitalismus bedeutungslos ist. (1)
Das intensive Gefühl eines unhinterfragbaren Grundes, für den du kämpfst, erschafft die Erfahrung endlich mit wirklicher Klarheit am Leben zu sein. Zu wissen, dass diese Kämpfe darüber hinausgehen nur eine Pipeline zu stoppen, erschafft ein Gefühl von Langlebigkeit, das in ähnlichen anarchistischen Kämpfen fehlt. Wenn diese industriellen Projekte erst einmal besiegt sind, werden diese Camps bleiben, nicht nur um zukünftige Pläne im Hafen zu halten, sondern um den Menschen einen Zugang zur Verfügung zu stellen, zum Land zurückzukehren, und eine Gelegenheit das Leben außerhalb des kolonialen Systems zu begreifen und zu erinnern.
Ich finde es unglaublich, dass einer der effektivsten Wege des Widerstands gegen diese landzerstörenden, ressourcenextraktivistischen Projekte darin besteht, zu lernen und zu erinnern, wie wir wieder von diesen Ländern leben können. Um diese Projekte zu bekämpfen, müssen wir auf dem Land leben und um auf dem Land zu leben, müssen wir diese Projekte bekämpfen. Das Leben wird zum Widerstand und der Widerstand wird zum Leben.
BGR: Ein so großer Teil des anarchistischen Milieus hat Rhetorik über den Kampf gestellt und dabei alles, was für irgendetwas anderes steht als das wertgeschätzte “Selbst”, als moralistisch oder wahnhaft erachtet. Es ist leicht zu sehen, wie diese Vorstellung ob der Moderne waltet, aber ich sehe darin keinen Weg vorwärts und diese Kämpfe sind eine Erinnerung an ein Außerhalb unserer eigenen Realität, dass die Erde noch immer hier ist, Gemeinschaften darum kämpfen außerhalb von und in den Peripherien der Zivilisation zu existieren, und dass, wie gigantisch der Einfluss der Zivilisation auch gewesen sein mag, sie noch immer davon abhängig ist, so zu handeln, als ob alle Ressourcen endlich wären und alle Aktionen ohne Konsequenz bleiben.
Gibt es hier eine Reflektion darüber, wie ein verwurzelter und grundierter Widerstand gegen die Zivilisation aussehen könnte? Welche Barrieren der Wahrnehmung wir in uns tragen, dadurch dass wir mit der Rhetorik des Individualismus indoktriniert wurden?
Wenn ich “außerhalb von und in den Peripherien der Zivilisation” höre, dann habe ich das Gefühl ein paar kleine Korrekturen darin vornehmen zu müssen, wie ein*e Außenseiter*in das Leben in diesen Camps wahrnimmt. Wie bereits früher erwähnt treffen sich einige der Anführenden regelmäßig mit Agent*innen des Staates und die meisten materiellen Bedürfnisse werden dadurch gelöst, dass die Sachen in Läden gekauft werden, wie wir das alle tun. Dekolonialisierung ist ein komplexer und unschöner Lernprozess und wir sollten uns nicht den Bärendienst erweisen, idealisierte Bilder (Spektakel) zu erschaffen, die nichts mit der Realität vor Ort zu tun haben.
Davon abgesehen gibt es eine Menge, das einen inspirieren kann. Wie bereits früher diskutiert, sind die Methoden der Verkoppelung eines entschlossenen Widerstands gegen die industrielle Zerstörung und den Staat mit der Erschaffung kommunaler Beziehungen, die in ihren Gemeinschaften niemals vollständig verschwunden waren, tief in der Geschichte dieses Landes verwurzelt und äußerst machtvoll.
Es ist ein Vergnügen zu sehen, wie sich Menschen auf denen herumgetreten wurde, und die von Krankheiten, Christentum, Schulen, Rassismus, Alkohol und dem britisch-kanadischen Imperium entwürdigt wurden, selbst dazu ermächtigen wieder selbst zu definieren, wer sie sind und wo sie stehen.
Als Nicht-Indigene lautet die Frage, die wir uns selbst stellen müssen: Wer sind wir und wo stehen wir? Indem wir uns in unseren persönlichen Geschichten und der Geschichte des Landes, auf dem wir stehen verankern, auf dem schieren Erdboden, verwurzeln wir uns in realem Raum und Zeit. Dadurch, dass wir das tun, vervielfachen wir unsere Kräfte des Verstehens und des Handelns in unserer Zwickmühle. Es fällt mir schwer, das in Worte zu fassen, aber ich fühle es und erkenne es in meinem eigenen Leben. Auch wenn das was vor uns liegt, offen ist, können wir nicht leugnen, dass wir unsere Geschichte(n) sind.
Das bringt mich zu dieser Polemik gegen Individualismus. Es ist leicht, Strohmänner aufzubauen und ich will die verschiedenen Ansätze anerkennen, die auf das gleiche Ziel oder auch verschiedene Ziele hinarbeiten, aber wenn du die Dominanz der Rhetorik über den Kampf in einigen Kreisen erwähnst, dann sehe ich darin ein allzu bekanntes Muster in dem die Reinheit der Theorie zu einer lähmenden Kraft wird. Alles wird zu Moral, Aktivismus, Avantgardismus, Rechtssachen, usw. Und das Beste ist, wie einige sagen, nichts zu tun und mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Mein Problem mit der individualistischen Ideologie ist, dass sie für manche Leute im Gegensatz und in Isolation zu anderen steht. Um das Selbst wird ein intellektuelles Vakuum kreiert, eine Wand mit einem Burggraben um die eigene Identität errichtet. Sie ist eine Verweigerung der Beziehungen und Kontexte, die individuelle lebendige Organismen erschaffen und argumentiert anders herum, dass individuelle (unteilbare) Organismen Beziehungen und manchmal Kontexte erschaffen.
Auf eine gewisse Art ist (sehr eng gefasster) Individualismus vergleichbar mit der modernen Wissenschaft, die das Leben auf ein Sezierbrett packt, um es zu sezieren. Historisch sind viele Individualist*innen und Nihilist*innen mit Wissenschaft und Technologie bewaffnet gewesen und um ehrlich zu sein, Anarchist*innen ebenfalls. Die Flüsse und Strudel des Lebens sind sehr viel komplexer als diese reduktionistischen Konzepte, denen zufolge das “Selbst” zum neuen Geist geworden ist. (2)
In gewisser Weise lässt sich sagen, dass Individuen aus ihren Beziehungen mit anderen und der Welt bestehen und die Beziehungen aus Individuen bestehen und von ihnen geschaffen werden. Der Punkt liegt darin, zu erinnern, dass lebendige individuelle Organismen diejenigen sind, die das Leben erfahren. “Beziehungen” an sich nicht. Das ist ein Aspekt anarchistischen Denkens, der für mich immer attraktiv gewesen ist, die Konzentration auf die Freiheit und Wahrhaftigkeit der tatsächlichen lebendigen Person, auf freies Handeln und die Kreativität der Individuen und die Gegenseitigkeit, die das impliziert.
Aber es scheint, dass dieser Punkt der Annäherung heute zu einem eingewachsenen Zehnagel geworden ist. Anstatt umfassend und freigiebig zu werden, wurde er eng und armselig; er hat zu einer Geizhalsigkeit geführt, die andere als Instrumente und Werkzeuge, derer man sich bedienen kann, betrachtet, und die, wie alle anderen Waren auf dem Markt, weggeworfen werden können. Eine logische Schlussfolgerung einer extrem liberalen und instrumentellen Ideologie von Eigentum, aber absolut daneben aus einer anarchistischen Perspektive, die danach strebt, einen Kontext der Freiheit für alle zu erschaffen. (3)
Ich nehme an, dass in der verwüsteten Landschaft der Moderne ein tiefsitzendes Gefühl der Niederlage vorherrscht. Wenn man sich die miserable, unterwürfige Sklav*innenmentalität der meisten Zeitgenossen, die mich umgeben ansieht, dann fühle ich mich manchmal umgeben von Feind*innen, als ob eine Mauer um mich errichtet worden wäre. Aber ich weiß, dass Determinismus uns niemals gut getan hat. Träume zu zerstören ist eines der Hauptziele dieses Systems und Düsterkeit sein hauptsächlicher industrieller Output.
Für mich wird dieses Gefühl von Verlust unter anderem durch ein Bad in einem eiskalten Bach, wenn ich eine Handvoll Heidelbeeren, die ich mit Freund*innen gesammelt habe, esse, oder wenn ich dem Wind lausche, weggeblasen. Den Scheiß aus unseren Köpfen zu bekommen und voll in unsere Körper einzutauchen ist wirklich hilfreich. Und schließlich, sich zur Wehr zu setzen, die Mächtigen dieser Welt davon abhalten, nachts ruhig zu schlafen, sich zu verschwören, zu träumen, uns gegenseitig zu helfen belebt den Willen trotz dieser die Freiheit, Individualität/Gemeinschaft und Wildheit fressenden Maschine, erfüllte Leben zu leben wieder.
Unsere Kinder beginnen eine andere Art zu wandeln und lernen zu erlernen. Als Anarchist*in strebe ich danach, dass meine Beziehungen vorsätzlich, tief und aufrichtig sind. Diese Dinge sind mir wichtig, deshalb werde ich von dem Punkt aus, an dem ich stehe, kämpfen, indem ich mich auf die beste Art und Weise positioniere. Diese Beziehungen nicht nur mit den Menschen aufzubauen, sondern auch mit den Orten, den Flüssen, die von den Unist’ot’en durch Madii Lii, bis zu den Flora Ufern, an denen ich lebe, fließen, verschaffen uns nur einen winzigen Ausblick darauf, wie diese Verbindung und Verwurzelung aussehen könnte. Ich muss noch immer herausfinden, wohin ich in dieser ganzen Sache falle, aber zu kämpfen bedeutet, Integrität zu haben, sowie von Tag zu Tag mehr Demut für die Dinge der Welt, die meine Familie isst und trinkt.
BGR: Es gibt die Tendenz zu behaupten, dass Anarcho-Primitivist*innen und grüne Anarchist*innen indigene Gemeinschaften und ihre Strukturen sowohl romantisieren, als auch übermäßig kritisieren. Wie du sagtest, arbeitest du mit indigenen Gesellschaften, die Hierarchie als ein zentrales Element haben. Ich sehe die Notwendigkeit in unseren Einschätzungen über die Auswirkungen von Domestizierung ehrlich zu sein, aber es gibt einen Unterschied darin, die Auswirkungen von Domestizierung zu benennen, um die Wurzeln und Ursprünge der Zivilisation zu entlarven und darin, jede Art von Domestizierung mit Zivilisation gleichzusetzen. Das war niemals der Punkt.
Eine Vorstellung über die Gesellschaften und Gemeinschaften, die wir bilden wollen und pflegen zu haben bedeutet nicht, dass sesshafte Jäger*innen/Sammler*innen im Pazifischen Nordwesten unsere Unterstützung in ihren Kämpfen und ihrem Willen, nicht von der Zivilisation getötet zu werden, nicht verdienen würden. Es gibt einen Unterschied zwischen Kritik und Verdammung, zwischen persönlichen Sehnsüchten und Solidarität. Wie du hervorhebst, gilt das hier definitiv. Findest du das eine schwierige Gratwanderung oder macht die Realität der Kolonisierung diese Perspektive einfach klar?
Als Anarchist*innen haben wir uns immer mit der Frage beschäftigt, wie wir mit Nicht-Anarchist*innen und traditionellen Kulturen arbeiten, kämpfen und spielen wollen. Ich muss zugeben, dass ich über die Jahre eine größere Wechselseitigkeit und anarchistische Beziehungen mit indigenen Menschen entdeckt habe, die aus einem nomadischeren, in kleinen Banden lebenden, kulturellen Hintergrund des Inlands stammen, als aus den sesshafteren Sklav*innen/Bürger*innen/Adel hierarchisierten Kulturen der Küste. Das ist eine Verallgemeinerung, da ich auch Leute von der Küste getroffen habe, die unsere Sehnsüchte teilen, aber das Gefühl und die Erfahrung einer strikteren Kultur bleibt.
Bei jedem Solidaritäts- und Dekolonialisierungsunterfangen mit traditionellen Kulturen fragen wir uns: helfen wir dabei Traditionen wiederzubeleben, die diametral unseren Sehnsüchten nach freien Beziehungen anstatt institutionalisierten und auf Zwang basierenden entgegenstehen? Erlauben wir eine überarbeitete Version älterer nationaler Befreiungskämpfe, in denen das mystische goldene Zeitalter einer himmlischen Vergangenheit, bevor der Teufel ankam mit allem Drum und Dran, wiedererrichtet werden soll? Ich denke, dass das komplexe Fragen sind, angesichts der transformativen Fähigkeit und Diversität der beteiligten Individuen und Kulturen und des Erbes der Kolonialisierung.
Es ist eine Gratwanderung und zugleich ist klar, das wir Gäste und/oder Eindringlinge sind und dass es eine anhaltende Geschichte des Genozids gibt. Mein Ansatz war, zu vermeiden ein*e Diener*in zu werden und stattdessen handfeste Unterstützung anzubieten und nach Affinitäten mit unterschiedlichen Individuen zu suchen, von denen manche sogar Freund*innen wurden. Und zugleich offen, ehrlich und verständnisvoll zu sein, denjenigen, mit denen ich nicht einer Meinung hinsichtlich ihres Ansatzes oder ihrer Praxis bin, zuzuhören.
Wir beide, sowohl Anarchist*innen als auch Traditionalist*innen, teilen eine Abneigung und Feindschaft gegenüber der Vergiftung und Zerstörung des Landes und stehen beide für Selbstbestimmung gegen den Staat. Hier handeln wir in Solidarität.
Aber nur indem wir auch physisch anwesend sind, können wir unsere persönlichen Sehnsüchte nach horizontalen Beziehungen teilen.
Ich habe tatsächlich Beispiele indigener Krieger*innen gesehen, die neidisch auf die Freiheit der Anarchist*innen waren, so zu handeln, wie sie es für angemessen halten, unkontrolliert von Anführenden und Traditionen, aber, idealerweise, stets demütig und sich der Konsequenzen bewusst. Subversion kann viele Formen annehmen.
In allen menschlichen Kulturen ist die Frage der Anführer*innenschaft immer eine heikle gewesen, besonders für uns als Anarchist*innen. Einige Indigene sagten mir einmal, dass in präkolonialen Zeiten die traditionellen Anführer*innen dem Ideal von Anführer*innenschaft tatsächlich nahe kamen. Sie kommandierten die Leute nicht herum, hatten keine Befehlsgewalt, sondern hatten die Macht der Rede, mit der sie die Gefühle und Sehnsüchte der Gruppe zusammenfassten, durch gut begründete Argumente überzeugten, nicht durch Zwang, zuhörten und die Vielfalt der Ansichten in Betracht zogen, die ärmsten und am härtesten Arbeitenden waren und verjagt oder sogar getötet wurden, wenn sie hochmütig wurden oder den Bezug zu ihrer Gemeinschaft verloren.
Nun, ist das eine akkurate Erzählung der Vergangenheit? Oder ist es eher das Konstrukt eines Ideals, so wie die von Fortschritt, Demokratie und Zivilisation? Was ich heute in der Realität sehe ist eine Vielzahl von individuellen traditionellen Anführer*innen, von denen sich einige mit besten Absichten hinsichtlich Gesundheit und Freiheit ihrer Leute und ihres Territoriums verhalten, einige unentschlossen sind oder widersprüchlich handeln und einige blanke Verräter*innen oder diktatorische König*innen sind. Sind diese letzteren nur ein Nebenprodukt der Kolonisierung? Ich denke nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass Entfernung und Ersetzungsprozeduren in der Vergangenheit besser funktioniert haben als heute.
All das erinnert mich daran, wie wenig ich über die Kulturen weiß, die auf diesem Land geboren wurden. Es ist ein anhaltender Lernprozess und ich finde ihn faszinierend und aufregend. Ich will dir für dieses Interview danken, das uns dazu gebracht hat, zu Papier zu bringen, was wir genau denken und tun.

(1) Ich kann mir die Bemerkung nicht mehr verkneifen, dass ich schon seit geraumer Zeit den Eindruck habe, dass sich dieses Interview in gewisser Hinsicht mehr wie das Protokoll einer Therapiesitzung liest (und hört man nicht vom Interviewer selbst vor allem immer, dass wir von den “Beschädigungen der Zivilisation heilen” müssen? Aber ganz ehrlich: Wenn ich das will, dann zünde ich etwas an … das scheint mir besser zu funktionieren, als nur zu jammern und ganz besonders als über die anarchistische Szene zu jammern), als wie der Report von einem kraftvollen Kampf. Ich verstehe ja schon, was hier gesagt werden soll, aber ehrlich, man kann sein Leben schon auch selbst in die Hand nehmen und das daraus machen, was man eben daraus machen will, und wenn die Alltagsroutine so bedeutungslos ist, die man jenseits der Teilnahme an den beschriebenen Protestcamps hat, dann sollte man sich, nichts für ungut, meiner Meinung nach überlegen, ob man hier nicht mehr als Konsument*in eines Protestspektakels an etwas teilgenommen hat, das man nicht in der Lage war, zu seinem eigenen Kampf zu machen. Anm. d. Übers.

(2) Dieser Exkurs über ein mehr als seltsam anmutendes Verständnis von Individualismus, das mehr dem entspricht, was irgendwelche, das Individuum verachtende und folglich in den Individualist*innen ihre Strohmänner aufbauenden Hetzer*innen über den Individualismus in anarchistischen Kreisen behaupten, als was von irgendwem vertreten wird, erklärt an dieser Stelle vielleicht auch die Tatsache, warum es den interviewten Personen – und ganz ehrlich, der Interviewer ist da sicher kein Stück besser – so sichtlich schwer fällt, auch ohne die Camps des indigenen Widerstands als eine Art Selbstfindungsferienlager zu missbrauchen, nach ihren Ideen zu handeln und diesen so einen Wert zu verleihen. Das mag nun gemein klingen, aber wie man in den Wald hineinruft … Anm. d. Übers.

(3) Ich empfehle ja bewusst nicht mehr allzu oft, Stirner zu lesen, aber wer so etwas sagt oder auch nur zustimmend nickt, der sollte das vielleicht einmal tun. Anm. d. Übers.