Diese Einführung ist weder als „Bestimmung der Prinzipien“ für eine anarchistische „Bewegung“ noch als antizivilisatorisches Manifest gedacht. Es ist ein Blick auf einige grundsätzliche Ideen und Begriffe, die das Kollektiv und andere Leute, die sich mit der grünen Anarchie identifizieren, miteinander teilen. Wir haben den Anspruch, und setzen das Bedürfnis voraus, unsere Visionen und Strategien offen zu halten und Diskussion ist immer willkommen. Wir finden, dass, wenn wir uns weiterentwickeln wollen, jeder Aspekt unseres Denkens und Seins einer konstanten Infragestellung und Flexibilität bedarf. Uns interessiert keine Entwicklung einer neuen Ideologie und auch keine Verewigung einer besonderen Weltanschauung. Wir setzen voraus, dass nicht alle grünen Anarchist*innen spezifisch antizivilisatorisch sind (wobei wir schon Mühe haben zu verstehen, wie es möglich sein kann gegen jede Herrschaft zu sein ohne dieselbe an ihren Wurzeln, d. h. radikal, in Frage zu stellen). Immerhin prangern viele Leute, die den Begriff „grüne Anarchie“ verwenden, die Zivilisation und ihre Aspekte (Abrichtung/Domestizierung, Patriarchat, Arbeitsteilung, Technologie, Produktion, Stellvertretung und Darstellung, Entfremdung Verdinglichung, Kontrolle, Zerstörung des Lebens, usw.) an. Während es Leute gibt, die sich im Sinne der direkten Demokratie und dem städtischen Gartenbau selbstverwirklichen würden, sind wir der Meinung, dass das wieder grün oder „gerechter“ machen der Zivilisation eine unmögliche und lästige Aufgabe ist. Wir finden es wichtig uns in Richtung einer radikal dezentralisierten Welt zu bewegen, die Logik und Mentalität der Todeskultur herauszufordern, jeglicher Stellvertretung/Vermittlung in unserem Leben ein Ende zu setzen und alle Institutionen und materiellen Ausdrücke dieses Albtraumes zu zerstören. Wir wollen entzivilisiert werden. Allgemeiner ausgedrückt, das wäre der Weg der grünen Anarchie im Denken und Handeln.
Anarchie oder Anarchismus
Eine unserer Meinung nach zu Beginn wichtige Qualifizierung ist die Unterscheidung zwischen „Anarchie“ und „Anarchismus“. Etliche werden das als rein semantische Angelegenheit oder Trivialität abtun, aber für einen gro?en Teil der post-linken und antizivilisatorischen Anarchist*innen ist diese Unterscheidung wichtig. Anarchismus kann als bedeutender geschichtlicher Bezugspunkt zur Inspiration und als Lehrmittel dienen, ist aber zu systematisch, erstarrt und ideologisch geworden… alles Dinge, die nichts mit Anarchie zu tun haben. Notorisch ist, dass das weniger mit dem Anarchismus als soziale, politische und philosophische Orientierung zu tun hat und mehr mit denjenigen, die sich als Anarchist*innen identifizieren. Unter unseren anarchistischen Vorfahren gäbe es sicher etliche, die mit uns denselben Ärger über diese Tendenz teilen würden, dasjenige zur Erstarrung zu bringen, was immer flüssig bleiben müsste. Die ersten, die sich als Anarchist*innen identifizierten, (Proudhon, Bakunin, Berkman, Goldman, Malatesta, usw.) entsprachen mit eigentümlichen Motivationen und Wünschen genauso eigentümlichen Kontexten. Viel zu viel betrachten zeitgenössische Anarchist*innen diese Individuen als Vertretende der Grenzen der Anarchie und stellen eine Haltung gegenüber der Anarchie her, die wir WWBT („Was Würde Bakunin Tun“ – oder besser „Denken“) nennen können, ein tragisches und potentiell gefährliches Verhalten. Heute lehnen einige, die sich mit dem klassischen Anarchismus identifizieren, alle Bemühungen in unerforschten Bereichen innerhalb des Anarchismus (d.h. Primitivismus, Post-Linksorientierung/Post-leftism) einfach ab, und tun dasselbe mit Tendenzen, die vom Gesichtspunkt der anfänglichen Massenbewegung her als abwegig betrachtet wurden (d.h. Individualismus, Nihilismus, usw.). Dieser extrem kreativitätsarme Dogmatismus einiger Anarchist*innen ist so weit gegangen, den Anarchismus zur sehr spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Methodologie für die Organisierung der Arbeiterinnenklasse zu erklären. Das ist selbstverständlich ein absurdes Äußerstes, aber solche Tendenzen sind in etlichen Ideen und Vorhaben einer großen Anzahl von zeitgenössischen Anarchist*innen der linksorientierten Tendenz auszumachen (Anarchosyndikalismus, Anarchokommunismus, „Plattformismus“, Föderalismus). Im aktuellen Zustand ist „Anarchismus“ eine zu überwindende linksextreme Ideologie. Ganz im Gegenteil ist „Anarchie“ formlos, flüssig und eine organische Erfahrung, die vielseitige und vielschichtige sowohl persönliche als auch kollektive und immer offene Befreiungsvisionen umfasst. Als Anarchist*innen sind wir an der Herstellung eines neuen Systems oder einer neuen Struktur, worin wir wohl am ehesten untergeordnet leben sollten, nicht interessiert, so „ethisch“ oder „unauffällig“ ihr Anspruch auch daherkommen mag. Wir Anarchist*innen können anderen keine andere Welt liefern, wir können aber Ideen und Fragen aufwerfen und versuchen jegliche Herrschaft und all das zu zerstören, was uns daran hindert eine direkte Beziehung zu unseren Wünschen und Bedürfnissen zu träumen und zu erleben.
Was ist Primitivismus?
Auch wenn nicht die gesamte grünanarchistische Szene sich spezifisch als „primitivistisch“ identifiziert, so anerkennt der größte Teil die Bedeutung der primitivistischen Kritik für die antizivilisatorische Perspektive. Primitivismus ist schlicht eine anthropologische und intellektuelle Prüfung der Erfahrung und der Ursprünge der Zivilisation und der Umstände, die zum Albtraum führten, in dem wir heute leben. Der Primitivismus anerkennt, dass während dem größten Teil der Menschheitsgeschichte unser Leben sich von Angesicht zu Angesicht in der Gemeinschaft, im Gleichgewicht untereinander und mit unserer Umgebung und ohne formale Hierarchien und Institutionen zur Kontrolle und Vermittlung unserer Leben abspielte. Wer primitivistisch eingestellt ist, will von den in der Vergangenheit und in den zeitgenössischen Jäger*innen- und Sammler*innengesellschaften (die außerhalb der Zivilisation lebten und immer noch leben) gültigen Abläufen lernen. Während im Primitivismus einige eine unverzügliche und vollständige Rückkehr zur Gesellschaft der Banden wünschen, die vom Sammeln und Jagen leben, begreifen die meisten, dass die Bewusstheit, das etwas in der Vergangenheit erfolgreich war, nicht bedingungslos bestimmt was in der Zukunft funktionieren wird. Der Begriff „primitive Zukunft“, der vom anarchoprimitivistischen Schriftsteller John Zerzan geprägt wurde, ist ein Hinweis auf die Tatsache, dass eine Synthese der primitiven Techniken und Ideen mit zeitgenössischen anarchistischen Konzepten und Motivationen vereint werden kann um gesunde, nachhaltige, gleichheitliche und dezentralisierte Situationen zu bilden. Unter der Voraussetzung einer nicht ideologischen Anwendung kann der Anarchoprimitivismus ein bedeutendes Mittel im Projekt der Abschaffung der Zivilisation sein.
Was ist Zivilisation
Die grüne Anarchie hat die Tendenz, die Zivilisation als Logik, Institutionen und materielle Apparate zur Abrichtung, Kontrolle und Herrschaft zu begreifen. Während etliche Individuen und Gruppen besonderen Aspekten der Zivilisation (z.B. Primitivismus konzentriert sich typischerweise auf die Frage der Ursprünge, Feminismus auf die Wurzeln und Äußerungen des Patriarchats und Insurrektionalismus auf die Zerstörung der zeitgenössischen Kontrollinstitutionen) Priorität einräumen, teilt ein guter Teil der grünen Anarchist*innen die Ansicht, dass das Problem oder die Wurzeln der Unterdrückung die darunterliegende Zivilisation ist, und dass deren Auflösung notwendig ist. Die Entstehung der Zivilisation kann grob als die vor 10.000 Jahren stattgefundene Wende beschrieben werden, die von einer zutiefst in der Vernetzung allen Lebens integrierten Lebensweise zur Existenz führte, die aus der Kontrolle und der Trennung vom Rest des Lebens besteht. Weitgehend gab es vor der Zivilisation sehr viel Freizeit, eine kräftige körperliche Konstitution und Gesundheit, eine beträchtliche Gleichheit und Autonomie der Geschlechter, ein nicht zerstörerisches Verhalten gegenüber der natürlichen Welt, keine organisierte Gewalt und keine formale Vermittlung und Institutionen. Die Zivilisation führte den Krieg, die Unterwerfung der Frau, das Bevölkerungswachstum, die Ausbeutung der Arbeit, den Begriff Besitz, die tief verwurzelten Hierarchien und eigentlich jegliche heute bekannte Krankheit ein, bloß um einige ihrer verheerenden Ergebnisse aufzuzählen. Die Grundlage und Anfänge der Zivilisation bestehen im zwangsmäßigen Verzicht auf instinktive Freiheit. Sie ist nicht reformierbar und daher unser Feind.
Biozentrismus oder Anthropozentrismus
Die Prüfung der Gegenüberstellung von Biozentrismus und Anthropozentrismus ist ein wirksames Mittel um die extreme Uneinigkeit zwischen der Zivilisation und den Weltanschauungen der primitiven/in der Erde verwurzelten Gesellschaften zu analysieren. Biozentrismus ist eine Perspektive, die uns mit der Erde und dem komplexen Netzwerk des Lebens vereint und wieder verbindet, Anthropozentrismus hingegen, die vorherrschende Weltanschauung der westlichen Kultur, richtet unsere hauptsächliche Aufmerksamkeit unter Ausschluss des Restes des Lebens auf die menschliche Gesellschaft. Eine biozentrische Anschauung lehnt die menschliche Gesellschaft nicht ab, will sie aber vom Thron ihres Überlegenheitsstatus stürzen und wieder ins Gleichgewicht mit den anderen Kräften des Lebens bringen. Sie stellt die Priorität der bioregionalistischen Perspektive auf, was eine tiefe Beziehung mit den Pflanzen, Tieren, Insekten, dem Klima, den geographischen Bedingungen und mit dem Geist des Ortes, den wir bewohnen, heißt. Es gibt keine Trennung unter uns und zwischen uns und der Umwelt, daher kann es keine Verdinglichung des Lebens oder eine Fremdheit gegenüber dem Leben geben. Während die Trennung und die Verdinglichung grundlegend für unsere Fähigkeit zur Herrschaft und zur Kontrolle sind, ist die Verbindung die Voraussetzung für zutiefst gegenseitige Fürsorge und gegenseitiges Verständnis. Grüne Anarchie kämpft, um uns auf die Überwindung der auf die Menschen zentrierten Ideen und Entscheidungen hin zu bewegen und um eine demütige Hochachtung für jegliches Leben und jeglichen Ablauf des uns tragenden Ökosystems zu erreichen.
Eine Kritik der symbolischen Kultur
Ein weiterer problematischer Aspekt der üblichen Weltanschauung und Beziehung zur Welt, weil er uns teilt und eine unvermittelte Interaktion verhindert, ist die Wende Richtung einer fast ausschließlich symbolischen Kultur. Wenn diese Frage aufgeworfen wird, ist die Antwort oft: „Ach so, du möchtest also bloß noch grunzen?“ Das kann der Wunsch einiger sein. Allgemein aber ist es ein Blick in die Probleme, die von einer Kommunikations- und Verständnisform geschaffen werden, die sich vorrangig symbolischem Denken auf Kosten (und sogar unter Ausschluss) anderer sinnlichen und unmittelbaren Bedeutungen anvertraut. Der übertriebene Drang zum Symbolischen ist eine Bewegung, die uns aus der direkten Erfahrung heraus katapultiert um uns in die vermittelte Erfahrung der Sprach-, Kunst-, Nummern-, Zeitform, usw. zu tauchen. Die symbolische Kultur filtriert unsere gesamte Wahrnehmung durch formale und informale Symbole. Was nicht bloß heißt den Dingen Namen zu geben, sondern eine vollständige Beziehung mit der Welt zu haben bedeutet, wie wir sie durch die Brille der Darstellung sehen. Diskutabel ist, ob die Menschenwesen so oder so zum symbolischen Denken neigen und davon abhängen, oder ob sie es als kulturelle Veränderung oder Anpassung entwickelt haben, sicher ist aber, dass die symbolische Art sich auszudrücken und des Verständnisses begrenzt ist, und dass die von ihr hergestellte übertriebene Abhängigkeit zur Verdinglichung, zur Entfremdung und zum Tunnelblick führt. Viele grüne Anarchist*innen fördern und praktizieren die Wiederaneignung und Wiederbelebung der ausgeschalteten und entkräfteten Methoden zur Interaktion und Erkenntnis, wie Berühren, Riechen, Telepathie oder auch die Experimentierung und Entwicklung von einzigartigen und persönlichen Arten des Verständnisses und des Ausdruckes.
Abrichtung/Domestizierung des Lebens
Abrichtung/Domestizierung ist das Verfahren, das die Zivilisation gebraucht, um das Leben seiner Logik entsprechend zu indoktrinieren und zu kontrollieren. Diese mit der Zeit ausgefeilten Unterwerfungsmechanismen beinhalten u.a.: Bändigung/Zähmung, Aufzucht und Anbau, genetische Veränderungen, Schulpflicht, Käfige, Einschüchterungen, Zwang, Erpressung, Versprechen, Regierung, Versklavung, Terror, Mord…, diese Liste ist noch viel länger und beinhaltet mindestens jede zivilisierte soziale Interaktion. Ihre Umtriebe und Wirkungen können in der Gesellschaft geprüft und ausgemacht werden und werden durch verschiedene Institutionen, von den Ritualen und Gepflogenheiten verstärkt. Es ist also der Vorgang, in dem menschliche Bevölkerungen, vermutlich NomadInnen, mit der Entwicklung der Landwirtschaft und der Aufzucht von Tieren die Wende Richtung einer sesshaften Existenz in Siedlungen vollführen. Diese Art und Weise der Abrichtung bedingt ein totalitäres Verhältnis zum domestizierten Boden und zu den abgerichteten Pflanzen und Tieren. Während im wilden Zustand jedes Leben die Ressourcen konkurrierend mit den anderen Leben teilt, zerstört die Abrichtung dieses Gleichgewicht. Die abgerichtete Landschaft (Weiden/Felder und in kleinerem Masse Gartenbau) schafft die Notwendigkeit, der vorher bestehenden Ressourcenteilung ein Ende zu bereiten: wo einmal „das gehört allen“ vorherrschend war, gilt jetzt „das gehört mir“. In seiner Novelle Ishmael erklärt Daniel Quinn diese Verwandlung als die Bewegung vom „wer um Erlaubnis bitten“ zum „wer nimmt“, anders gesagt von der Annahme des von der Erde Angebotenen zum Nehmen des ihr Abverlangten. Als Eigentum und Macht aufkamen, hat dieser Besitzbegriff die Fundamente der sozialen Hierarchie gebildet.
Indem die freiheitliche Ordnung durch eine totalitäre Ordnung abgelöst wird, verändert die Abrichtung nicht bloß die Ökologie, sondern versklavt auch die abgerichteten Spezies. Im Allgemeinen ist eine Umwelt um so weniger nachhaltig, um so mehr sie kontrolliert wird. Die Abrichtung der Menschheit selbst enthält haufenweise der nomadisierenden Jagd- und Sammellebensweise unbekannte endgültige Verbote a la „Halt! Wer da?“. Es lohnt sich hier anzufügen, dass viele der Schritte, die von der nomadisierenden Jagd- und Sammellebensweise zur Domestizierung führten, nicht autonom vollzogen, sondern mit Schwert und Gewehr erzwungen wurden. Noch vor über 2000 Jahren lebte die Mehrheit der menschlichen Bevölkerung vom Jagen und Sammeln, jetzt bleiben noch 0,01% übrig. Der Pfad der Abrichtung ist eine kolonisatorische Gewalt, die den eroberten Völkern und den Auslösern dieser Praktiken unendlich viele Krankheiten gebracht hat. Unter den vielen Beispielen: der Niedergang der ernährungsbedingten Gesundheit durch die übertriebene Abhängigkeit von nicht abwechslungsreicher Kost; mindestens 40 bis 60 Krankheiten wurden auf die menschliche Bevölkerung durch die Domestizierung der Tiere übertragen (Grippe, Erkältung, Tuberkulose, usw.), die Entstehung eines Ernährungsüberschusses, der eingesetzt werden kann um eine aus dem Gleichgewicht geratene Bevölkerung zu ernähren, bedingt ausnahmslos den Besitz und das Ende des unbegrenzten miteinander Teilens.
Ursprünge und Dynamiken des Patriarchats
Kurz vor den Anfängen der Wende zur Zivilisation, ist eines der ersten Ergebnisse der Abrichtung das Patriarchat: die Formalisierung der männlichen Vorherrschaft und die Entwicklung von Institutionen zu seiner Verstärkung. Durch die Bildung falscher Unterschiede zwischen den Geschlechtern bildet die Zivilisation, einmal wieder, ein „Anderes“, das verdinglicht, kontrolliert, beherrscht, benutzt und kommerzialisiert werden kann. Das entwickelt sich parallel zu den anderen allgemeinen Vorgängen der Abrichtung der Pflanzen und der Tiere zur Viehzucht und auch zu den spezifischen Dynamiken wie z.B. die Kontrolle der Reproduktion. Analog zu den anderen Bereichen der sozialen Schichtung werden den Frauen Rollen zugewiesen, um eine sehr starre und voraussehbare Ordnung zur Bevorzugung der Hierarchie herzustellen. Die Frauen beginnen genau wie die Ernte der Felder oder das Schaf auf der Weide als Besitz betrachtet zu werden. Der totale Besitz und die totale Kontrolle des Bodens, der Pflanzen, der Tiere, der Sklav*innen, der Kinder oder der Frauen sind Teil der durch die Zivilisation hergestellten Dynamik. Das Patriarchat erfordert die Unterjochung der Frau und, ebenfalls wider natürliches Recht, die Aneignung der Natur, was uns Richtung totale Zerstörung stürzt. Es führt Macht, Kontrolle und Herrschaft über das Wilde, die Freiheit und das Leben ein. Die patriarchale Konditionierung diktiert alle unsere Verbindungen, die Beziehung miteinander und unserer Sexualität, die Beziehungen zwischen uns und der Natur und sie schränkt die Bandbreite der möglichen Erfahrungen strengstens ein. Die Verbindung zwischen der Logik der Zivilisation und dem Patriarchat ist unbestreitbar, beide haben Jahrtausende lang gefräßig Leben verschlungen und so die menschliche Erfahrung auf allen Ebenen, von den institutionellen bis zu den persönlichen, geformt. Um gegen die Zivilisation zu sein, müssen wir gegen das Patriarchat sein, und um das Patriarchat in Frage zu stellen, so sieht es nun mal aus, muss auch die Zivilisation in Frage gestellt werden.
Arbeitsteilung und Spezialisierung
Die Annullierung der Geschicklichkeit uns selbst um unsere Angelegenheiten zu kümmern und unsere Bedürfnisse selbst zu befriedigen, ist eine von der Zivilisation verewigte Technik der Trennung und Schwächung. So sind wir dem System nützlicher als wir es uns selber sind, wenn sie uns durch Arbeitsteilung und Spezialisierung untereinander und von unseren Wünschen entfremden. Wir sind nicht mehr imstande ins Freie zu gehen und unser Essen und die Ressourcen zum eigenen und kollektiven Überleben zu beschaffen. Wir sind hingegen einem merkantilen Produktions- und Konsumsystem zwangsweise einverleibt, demgegenüber wir immer Schulden haben. Mangel an Einflussgleichheit entsteht über die effektive Macht der verschiedenen Expert*innen. Dem Begriff Spezialisierung ist sowohl die Bildung von Machtdynamiken als auch die Korrosion der gleichheitlichen Beziehungen eigen. Während die Linke ab und zu diese Konzepte politisch anerkennt, sie aber als notwendige in Schach und Verwaltung zu haltende Prozesse betrachtet, hat die grüne Anarchie die Tendenz, Arbeitsteilung und Spezialisierung als grundlegende, unvereinbare und entscheidende Probleme für die sozialen Beziehungen in der Zivilisation zu betrachten.
Ablehnung der Wissenschaft
Viele antizivilisatorische Anarchist*innen lehnen Wissenschaft als Methode zum Verständnis der Welt ab. Wissenschaft ist nicht neutral. Sie ist gesättigt von Motivationen und Annahmen, die aus der Katastrophe der Spaltung, der Zerstörung der Fähigkeiten und des Konsums an Lebensnot, die wir „Zivilisation“ nennen, entstehen. Und sie verstärkt diese Katastrophe. Wissenschaft übernimmt die Trennung und Trennung ist der perfekte Mechanismus, der im Begriff „Beobachtung“ einverleibt ist. Etwas „beobachten“ heißt, das Objekt der Beobachtung wahrzunehmen indem man sich gefühlsmäßig und körperlich davon trennt. Es ist, einen Informationskanal zu haben, der sich vom beobachteten Ding zu einem „Ich“ bewegt, das nicht als Teil dieses Dinges definiert ist. Diese todbringende und mechanische Anschauung ist Religion, die vorherrschende Religion unserer Zeiten. Die wissenschaftliche Methode ist bloß am Quantitativen interessiert. Sie lässt keine Werte oder Gefühle oder den Geruch der Luft kurz vor dem Regen zu. Oder, wenn sie sich damit befasst, tut sie es, indem sie diese Dinge in Nummern verwandelt, und verwandelt so das mit dem Riechen des Regens einig sein in eine abstrakte Manipulation der chemischen Formeln des Ozons, und das Spüren des Regens in die intellektuelle Idee, die behauptet, dass Gefühle bloß eine von funkensprühenden Neutronen ausgelöste Illusion sind. Die Nummer selbst ist keine Wahrheit, sondern bloß die Entscheidung für einen Gedankenstil. Wir haben uns für eine geistige Gepflogenheit entschieden, die unsere Aufmerksamkeit in eine Welt hinein fokussiert, die aus der Wirklichkeit beseitigt wurde und wo nichts eine völlig eigene Qualität oder Bewusstheit oder ein völlig eigenes Leben hat. Wir haben uns dazu entschieden Leben in Tod zu verwandeln. Sorgfältiges wissenschaftliches Denken wird zugeben, dass das, was sie studieren eine begrenzte Simulierung der wirklichen und komplexen Welt ist, und viele von ihnen erklären, dass dieser begrenzte Fokus selbsternährend ist, und dass er vollständig kooperierende technologische, wirtschaftliche und politische Systeme konstruiert hat, die unsere gesamte Wirklichkeit verschlucken. So begrenzt die Welt der Zahlen auch ist, die wissenschaftliche Methode lässt nicht einmal alle Zahlen zu – sondern nur diejenigen, die reproduzierbar, voraussehbar und für alle Beobachtenden gleich sind. Selbstverständlich ist die Wirklichkeit selbst nicht reproduzierbar und dasselbe gilt auch für alle Beobachter*innen. Und doch sind es von der Wirklichkeit abgeleitete fantastische Welten.
Die Wissenschaft hört nie auf, uns in eine Welt der Träume zu drängen – und nicht genug damit, sie geht sogar noch einen Schritt weiter und macht aus dieser Welt der Träume einen Albtraum mit nach Voraussehbarkeit, Kontrollierbarkeit und Uniformität selektionierten Inhalten. Jegliche Überraschung und Sinnlichkeit wird vereitelt. Wegen der Wissenschaft werden Bewusstseinszustände, die nicht zuverlässig zum vornherein festgelegt werden können, als ungesund oder höchstens als „nichtordinär“ eingeordnet und verbannt. Anomale Erfahrungen, Ideen und Leute, alles wird verbannt oder wie ungenau konstruierte Maschinenteile zerstört. Wissenschaft ist bloß eine Äußerung und eine Wahrnehmungsweise, die aus dem Drang zur Kontrolle heraus entsteht. Diese zwanghafte Sucht nach Kontrolle ist uns mindestens von da an eigen, als wir begannen Felder zu bestellen und Tiere in Gehege einzusperren, anstatt die weniger voraussehbare (aber reichhaltigere) Welt der Wirklichkeit, das heißt die „natürliche“ Welt, zu durchstreifen. Und von da an bis heute hat dieser Zwang jede Entscheidung, was nun als „Fortschritt“ zu gelten hat, bestimmt, bis wir auf die genetische Rekonstruktion des Lebens heruntergekommen sind.
Das Problem der Technologie
Die gesamte grüne Anarchie stellt Technologie auf irgendeiner Ebene in Frage. Einerseits gibt es jene, die sich darauf beschränken den Begriff „grüne“ oder „angemessene“ Technologie vorzuschlagen und als Vernunftmenschen versuchen sie sich an einigen Formen der Abrichtung festzuklammern. Der große Teil aber lehnt Technologie vollständig ab. Technologie ist mehr als Kabellitzen, Kabel, Plastik und Stahl. Es ist ein komplexes System, das Arbeitsteilung, Rohstoffextraktion und Ausbeutung zugunsten derjenigen umfasst, die sie implementieren. Alle Schnittstellen und Ergebnisse der Technologie sind immer eine entfremdete, vermittelte und verzerrte Wirklichkeit. Trotz dem Anspruch der postmodermen Apologie und anderweitiger Technophilie, ist Technologie nicht neutral. Der Technologie sind die Werte und Ziele von denen immer innewohnend und anhaftend, die sie produzieren und kontrollieren. Viele Aspekte unterscheiden sie von den einfachen Werkzeugen. Ein einfaches Werkzeug bedeutet eine zeitlich beschränkte Verwendung eines Elementes, das die uns umgebende Welt zur Verfügung stellt und das für eine besondere Aufgabe eingesetzt wird. Werkzeuge erfordern keine komplexen Systeme, die jene entfremden, die sie zum eigenen Tun verwenden. Diese Trennung hingegen ist der Technologie innewohnend und schafft eine krankhafte und vermittelte Erfahrung, die zu verschiedenen Formen von Autorität führt. Immer, wenn eine „zeitsparende“ Technologie erschaffen wird, wächst die Herrschaft, weil zwangsweise wiederum neue Technologie gebaut werden muss um die ursprüngliche Technologie unterstützen, mit Brennstoff versorgen, erhalten und reparieren zu können. Das hat schnell zur Einführung eines komplexen technologischen Systems geführt, das ein Leben zu haben scheint, das von den Menschen, die es erschaffen haben, unabhängig zu sein scheint. Die Abfallprodukte der technologischen Gesellschaft vergiften unsere materielle und psychische Umwelt. Die Maschine raubt uns unser Leben um es in ihren Dienst zu stellen und der toxische Abfall brennt – und so erstickt sie uns. Nun ist es soweit, dass Technologie sich mit einer Dynamik selbst reproduziert, die einer düsteren Selbstbewusstheit nahekommt. Die technologische Gesellschaft ist eine weltweit verbreitete Infektion, die vom Eigenimpuls eiligst eine neuartige Umwelt einzurichten beschleunigt wird: eine Umwelt, die einzig und allein für die mechanische und expansionistische Wirksamkeit der Technologie vorgesehen ist. Das technologische System zerstört, eliminiert und unterwirft die natürliche Welt methodisch indem es einen irdischen Globus erbaut, der ausschließlich maschinengerecht ist. Das Ideal, für welches das technologische System kämpft, ist die Mechanisierung von allem, was es begegnet.
Produktion und Industrialismus
Ein Schlüsselelement der modernen technokapitalistischen Struktur ist der Industrialismus, das mechanisierte Produktionssystem, das auf zentralisierter Macht und Ausbeutung der Leute und der Natur aufgebaut ist. Industrialismus kann ohne Genozid, Ökozid und Kolonialismus nicht leben. Es aufrecht zu erhalten bedeutet Dinge wie Zwang, Ausraubung der Erde, Zwangsarbeit, kulturelle Vernichtung, Assimilierung, ökologische Verwüstung und globalen Handel als notwendig oder sogar willkommen zu akzeptieren. Indem sie jegliches Leben standardisiert, verdinglicht und kommerzialisiert, betrachtet die Industrialisierung alles Leben als potentielle Ressource.
Eine Kritik des Industrialismus ist eine natürliche Fortführung der anarchistischen Kritik des Staates, weil Industrialismus inhärent autoritär ist. Um eine industrielle Gesellschaft zu erhalten, müssen Ländereien erobert und kolonisiert werden um (im Allgemeinen) nicht-erneuerbare Ressourcen zur Schmierung und Brennstoffversorgung der Maschinen zur beschaffen. Diese Kolonisierung wird durch Rassismus, Sexismus und kulturellen Chauvinismus rationalisiert. Im Vorgang der Beschaffung von Ressourcen müssen die Leute vom eigenen Land vertrieben werden. Und um die Menschen dazu zu zwingen in den maschinenproduzierenden Fabriken zu arbeiten, müssen sie versklavt, abhängig gemacht oder auf andere Weise dem zerstörerischen, toxischen und erniedrigenden industriellen System unterworfen werden. Industrialismus kann ohne massive Zentralisierung und Spezialisierung nicht existieren: Klassenherrschaft ist ein Instrument des industriellen Systems, das den Personen den Zugang zu den Ressourcen und zum Wissen verwehrt, um sie so machtlos und leicht ausbeutbar zu machen. Dazu, um die eigene Existenz zu verewigen, erfordert der Industrialismus die Einschiffung der Ressourcen von allen Himmelsrichtungen her und diese Globalisierung korrumpiert jegliche lokale Selbstversorgung und Autonomie. Es ist die dem Industrialismus darunterliegende mechanizistische Anschauung. Es ist die gleiche Weltanschauung, die Sklaverei, Ausrottungen und Unterjochung der Frau gerechtfertigt hat. Es sollte wohl sonnenklar sein, dass Industrialismus nicht bloß für die Menschheit unterdrückerisch ist, sondern dass seine ökologische Zerstörungskraft ebenso grundlegend ist.
Überwindung der linksorientierten Anschauung
Unglücklicherweise fahren viele Anarchist*innen fort, als Linke angesehen zu werden und sich für solche zu halten. Diese Tendenz ist im Zuge sich zu verändern, im Sinne, dass in der postlinksorientierten und antizivilisatorischen Anarchie ein Beginn der Klärung des Unterschiedes zwischen eigener Perspektive und dem Bankrott der liberalen und sozialistischen Orientierungen stattfindet. Nicht bloß die Linke selbst hat bewiesen ein monumentales Scheitern in der Verfolgung der eigenen Ziele zu sein, sondern es ist auch historisch und von der zeitgenössischen Praxis und vom ideologischen Aufbau her offensichtlich, dass die Linke (obwohl sie sich als altruistisch und als Vertreterin der Freiheit vorstellt) aktuell die Antithese der Befreiung ist. Die Linke hat Technologie, Produktion, Organisation, Darstellung und Stellvertretung, Entfremdung, Autoritarismus, Moralität oder Fortschritt nie radikal in Frage gestellt. Und immer noch hat sie zur Ökologie, zur Autonomie oder zum Individuellen nichts Sinnvolles zu sagen. Der Ausdruck „links“ ist generell und eine grobe Umschreibung aller sozialistischen Tendenzen (Sozialdemokratie bis Liberalismus, Maoismus bis Stalinismus), welche die Massen in einem „progressistischeren“ Programm „resozialisieren“ möchten, und das oft mit Ansätzen, die zur Bildung einer falschen „Einheit“ oder von politischen Parteien Zwang und Manipulierung vorsehen. Während die Methoden oder Mittel zur Implementierung verschieden sein können, ist der Antrieb in der Regel derselbe und besteht in der Einführung einer auf die Moralität gegründete Anschauung einer kollektivisierten und monolithischen Welt.
Gegen die Massengesellschaft
Ein großer Teil der Anarchist*innen und der „Revolutionär*innen“ gibt eine konsistente Portion ihrer Zeit aus, um für eine große Anzahl von Personen gedachte Mechanismen und Schemas zur Produktion, Verteilung, Zuteilung und Kommunikation auszuarbeiten, anders gesagt, für die Funktionierung einer komplexen Gesellschaft. Aber nicht jede*r Anarchist*in akzeptiert diese Voraussetzung für die globale (oder gar regionale) gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Koordinierung oder Interdependenz oder der zu ihrer Verwaltung notwendigen Organisierung. Aus praktischen und philosophischen Gründen lehnen wir die Massengesellschaft ab. Vor allem lehnen wir die inhärente und notwendige Darstellung/Stellvertretung für eine Funktionierung, die außerhalb der direkten Erfahrung (was komplett dezentralisierte Lebensweisen bedeutet) steht. Wir wollen keine Gesellschaft leiten und auch keine andere organisieren. Wir wollen ein völlig anderes Bezugssystem. Wir wollen eine Welt, wo jede Gruppe selbstständig ist und selbst entscheidet wie sie lebt und wo alle Interaktionen auf Affinität, Freiheit und Offenheit basieren und nicht zwangsmäßig sind. Wir wollen ein gelebtes und kein befohlenes Leben. Die Massengesellschaft kollidiert auf brutale Art nicht bloß mit der Autonomie und dem Individuum, sondern auch mit der Erde. Es ist schlicht nicht nachhaltig (wie die Extraktion der Ressourcen und der Kommunikationssysteme, die für jedes globale Wirtschaftssystem notwendig sind) wie bis jetzt fortzufahren oder sich zur Findung von Projekten einzusetzen, die zu einer Massengesellschaft alternativ sind. Nochmals, eine radikale Dezentralisierung scheint der Schlüssel zur Autonomie und zur Verwirklichung von nachhaltigen und nicht-hierarchischen Lebenserhaltungsmethoden zu sein.
Befreiung gegen Organisierung
Wir sind Wesen, die für einen tiefen und totalen Bruch mit der zivilisierten Ordnung kämpfen, wir sind Anarchist*innen, die eine von Einschränkungen freie Freiheit wünschen. Wir kämpfen für Befreiung, für eine dezentralisierte und unvermittelte Beziehung mit unseren Umgebungen und mit allen, die wir lieben und mit denen wir Affinitäten teilen. Organisationsmodelle bescheren uns bloß noch mehr von der immer gleichen Bürokratie, Entfremdung und Kontrolle, genau wie sie uns dermaßen hold vom aktuellen System verabreicht werden. Mit allen ab und zu bestehen mögenden guten Absichten, das organisatorische Modell kommt jedenfalls von einer eigentlich patriarchalen und misstrauischen Mentalität, die in klarem Gegensatz zur Anarchie erscheint. Echte Affinitätsbeziehungen ergeben sich aus Beziehungen, die auf tiefem gegenseitigem Verständnis der intimen und alltäglichen Lebensbedürfnissen gründen, und nicht aus Beziehungen, die auf Organisationen, Ideologien oder abstrakte Ideen vertrauen. Da sie sowohl den Widerstand als auch die Ansichten zu standardisieren versuchen, ist es für Organisationsmodelle typisch, die individuellen Bedürfnisse und Wünsche „zum Wohle der Kollektivität“ zu unterdrücken. Bei Parteien, Plattformen oder Bünden scheint es so zu sein, dass im Verhältnis zum Wachstum des Projektes sich dessen Sinn und Relevanz für das eigene Leben verkleinert. Organisationen sind Mittel um Kreativität in Stabilität zu verwandeln, den Dissens zu kontrollieren und „konterrevolutionäre Erscheinungen“ zu reduzieren (wohlverstanden definiert von den Eliten, den Kadern oder der Leadership der Organisationen). Typisch ist, dass sie eher auf Quantität als auf Qualität gründen und für die Unabhängigkeit des Denkens und Handelns wenig Raum bieten. Die informalen und auf Affinität gegründeten Vereinigungen haben die Tendenz, die Entfremdung der Entscheidungen und Vorgänge auf ein Minimum zu senken und sie beschränken die Vermittlung zwischen unseren Wünschen und Handlungen. Beziehungen zwischen Affinitätsgruppen sind eher organisch und zeitlich beschränkt als starr und festgelegt.
Revolution gegen Reform
Als Anarchist*innen sind wir grundlegend gegen jede Regierung und, gleichermaßen, gegen jede Art der Kollaboration oder Vermittlung mit dem Staat (und mit hierarchischen oder Kontrollinstitutionen). Diese Position bestimmt eine gewisse strategische Kontinuität oder Richtung für das, was geschichtlich Revolution genannt wird. Dieser Begriff, obwohl von verschiedenen Ideologien und Agenden verfälscht, verwässert und kooptiert, kann für die anarchistische und anti-ideologische Praxis immer noch einen Sinn haben. Unter Revolution verstehen wir einen konstanten Kampf mit dem Ziel einer grundlegenden Veränderung der sozialen und politischen Landschaft; für uns Anarchist*innen heißt das vollständigen Abbau. Das Wort „Revolution“ hängt sowohl von der Position der Person ab, an die es gerichtet wird, als auch von dem, was als „revolutionäre“ Handlung definiert wird. Nochmals, für uns Anarchist*innen stellt sie die Aktivität dar, welche die totale Auflösung der Macht zum Ziel hat. Im Gegensatz dazu richtet die Reform jegliche Aktivität oder Strategie darauf aus, selektiv Elemente des aktuellen Systems auszubessern, zu verändern oder zu erhalten und verwendet dazu typischerweise diesem System angehörende Methoden oder Apparate. Die Ziele und Methoden der Revolution können nicht vom System diktiert werden und auch nicht in dessen Kontext angewendet werden. Für uns Anarchist*innen berufen sich Revolution und Reform auf unvereinbare Methoden und Ziele und, trotz gewisser anarcho-liberalistischen Ansätzen, können sie nicht im gleichen räumlichen und zeitlichen Kontinuum existieren. Für die antizivilisatorischen Anarchist*innen stellt revolutionäre Aktivität das gesamte System und Paradigma der Zivilisation in Frage, fordert sie heraus und arbeitet für deren Abbau. Folglich ist Revolution kein einzelnes und weit entferntes Geschehnis, das es für das Volk aufzubauen oder vorzubereiten gilt, sondern eine Lebensweise oder eine Praxis um sich Situationen gegenüber zu verhalten.
Der Megamaschine widerstehen
Anarchist*innen allgemein, und die grünen insbesondere, bevorzugen die direkte Aktion und stellen sie über symbolischen oder vermittelten Widerstand. Unterschiedliche Methoden oder Ansätze, mit dabei kulturelle Subversion, Sabotage, Aufstand, politische Gewalt (wenn auch nicht auf solche beschränkt) waren und bleiben Teil des anarchistischen Angriffsarsenals. Keine dieser Taktiken kann effektiv und bedeutend die laufende Ordnung oder Flugbahn verändern, aber diese Methoden sind, mit einer konstanten und transparenten sozialen Kritik kombiniert, wichtig. Der Umsturz des Systems kann subtil bis dramatisch ablaufen und so ein wichtiges Element des physischen Widerstandes sein. Sabotage war schon immer ein lebenswichtiger Teil anarchistischer Aktivität, sowohl in der Form des spontanen Vandalismus (öffentlich oder nächtlich) oder einer illegaleren und klandestineren Koordinierung mit der Bildung von Zellen. Kürzlich haben Gruppen wie Earth Liberation Front, eine radikale ökologische Gruppe, die aus autonomen Zellen besteht und jene angreift, die von der Zerstörung der Erde profitieren, korporativen und amtlichen Strukturen, Banken, Holzverarbeitungsmaschinen, Gentechlabors, SUVs und Luxuswohnungen Schäden in Millionenhöhe ($) zugefügt. Diese Aktionen, oft Brandanschläge, die oft von artikulierten Bekenner*innenschreiben begleitet sind und die Zivilisation anprangern, haben andere zum Handeln inspiriert und sind wirkungsvolle Mittel, nicht bloß um die Aufmerksamkeit über den Niedergang der Umwelt zu erregen, sondern auch als Abschreckung gegenüber einzelnen Umweltzerstörenden. Die aufständische Aktivität, das heißt die Vermehrung von Momenten, die Brüche im sozialen Frieden verursachen können, in denen die spontane Wut der Leute ausgelöst und möglicherweise bis zur Annahme von revolutionären Zügen ausgeweitet werden kann, ist folglich in einer wachsenden Phase. Die Riots von Seattle 1999, Prag 2000 und Genua 2001 sind alle (auf verschiedene Arten) Funken aufständischer Aktivität, die, wenn auch in den Zwecken beschränkt, als Versuche betrachtet werden können, sich Richtung Aufstand und Bruch mit dem Reformismus und dem gesamten Sklavereisystem zu bewegen. Die politische Gewalt, die den Angriff auf Individuen mit einbezieht, die für spezifische zur Unterdrückung führende Entscheidungen und Aktivitäten verantwortlich sind, war historisch ein zentraler Punkt für Anarchist*innen. Zuletzt noch, in Anbetracht der immensen Wirklichkeit und durchdringenden Fähigkeit des Systems (sozial, politisch, technologisch) ist der Angriff auf das technische Netzwerk und die Infrastruktur der Megamaschine für die antizivilisatorische Anarchie bedeutungsvoll. Abgesehen von den Methoden und der Intensität, sind die mit einer vertieften Analyse der Zivilisation verbundenen militanten Aktionen immer häufiger.
Notwendigkeit der Kritik
In dem Maße, in dem der Marsch Richtung globale Zerstörung weitergeht und die Gesellschaft immer krankmachender wird, wir die Kontrolle über unsere Leben immer mehr verlieren und wir in der Bildung eines bedeutenden Widerstandes gegen die Todeskultur scheitern, ist es lebenswichtig, dass wir den „revolutionären“ Momenten der Vergangenheit, den aktuellen und zukünftigen Kämpfen und unseren eigenen Projekten gegenüber sehr kritisch sind. Wir können die Fehler der Vergangenheit nicht andauernd wiederholen oder gegenüber unseren Mängeln blind sein. Die radikale ökologische Bewegung ist randvoll von Kampagnen, die von Einzelpersonen geführt werden, und von symbolischen Gesten, dazu leidet die anarchistische Szene auch noch unter der Geißel der linksorientierten und liberalen Tendenzen. Diese Tendenzen fahren fort, sich mit „aktivistischen“ und eher sinnlosen Aktionen abzugeben und selten kommt es dazu, dass die eigene Wirkung(slosigkeit) richtig eingeschätzt wird. Oft sind es eher Schuldgefühle und Selbstaufopferung als Selbstbefreiung und Freiheit, welche diese von sozialem Philanthropismus durchdrungenen Leute leitet, wenn sie einen abgedroschenen, nunmehr schon durch die vor den ihrigen stattgefundenen Niederlagen ausgereizten Weg beschreiten. Die Linke ist eine offene Eiterbeule auf dem Hintern der Menschheit, der Umweltschutz hat nicht ein einziges Winkelchen wilder Gegenden erhalten können, und die Anarchist*innen haben sehr selten etwas Anregendes zu sagen, und anregend Handeln tun sie noch seltener. Es könnte sich diese oder jener dem Kritizismus entgegenstellen, weil er „teilt“. Aber jede wirklich radikale Perspektive würde sich der Notwendigkeit einer kritischen Prüfung der Veränderungen in unseren Leben und der Welt, die wir bewohnen, bewusst werden. Jene, die wünschen jede Kritik bis „nach der Revolution“ zu unterdrücken, jede Diskussion im Bereiche des vagen und bedeutungslosen Geschwätzes einzudämmen und die Kritik der Strategie, der Taktik und der Ideen abzuwürgen, kommen nirgendwo hin und können uns nur behindern. Ein essentieller Aspekt jeder radikalen anarchistischen Perspektive muss die Infragestellung aller Dinge sein, selbstverständlich die eigenen Ideen, Projekte und Aktionen miteingeschlossen.
Einflüsse und Solidarität
Die grünanarchistische Perspektive ist unterschiedlich und offen, enthält aber trotzdem einige primäre Elemente der Kontinuität. Sie ist vom Anarchismus, Primitivismus, Luddismus, Insurrektionalismus, Nihilismus, Surrealismus und von der Tiefenökologie, vom Situationismus, Bioregionalismus, Ökofeminismus, von verschiedenen indigenen Kulturen, von den antikolonialen Kämpfen, vom Wilden, Verwilderten und von der Erde beeinflusst worden. Der Anarchismus trägt selbstverständlich mit dem antiautoritären Antrieb bei, der jede Macht gründlich herausfordert, indem er für ein wirklich egalitäres Verhältnis kämpft und die Gemeinschaft der gegenseitigen Unterstützung fördert. In der Überwindung der traditionellen anarchistischen Analyse weitet die grüne Anarchie jedoch die Idee der Herrschaftslosigkeit auf jedes Leben und nicht bloß auf das menschliche aus. Vom Primitivismus hat die grüne Anarchie die Informationen übernommen, die von einer kritischen und anregenden Anschauung der Ursprünge der Zivilisation her kommen, die zum Verständnis beitragen, was nun dieses Schlamassel ist und wie wir soweit gekommen sind, und die zur Suche nach einem Richtungswechsel beitragen. Vom Luddismus inspiriert, wiederbelebt die grüne Anarchie eine Tendenz zur antitechnologischen und antiindustriellen direkten Aktion. Der Insurrektionalismus inspiriert eine Perspektive, die nicht die perfekte Ausarbeitung einer glasklaren Kritik abwartet, sondern die heutigen Institutionen der Zivilisation, die an sich unsere Freiheit und Wünsche in Ketten legen, identifiziert und spontan angreift. Die antizivilisatorische Anarchie übernimmt viele Dinge vom Situationismus, wie etwa seine Kritik der entfremdenden Warengesellschaft, der wir uns entziehen können indem wir uns von neuem mit unseren unvermittelten Träumen und Wünschen verbinden. Die nihilistische Ablehnung der Annahme ausnahmslos aller Elemente der aktuellen Wirklichkeit, ist sich der zutiefst unheilbaren Krankheit dieser Gesellschaft bewusst und bietet der grünen Anarchie eine Strategie an, der das Bedürfnis fremd ist der Gesellschaft Visionen anzubieten, um sich im Gegenteil auf deren Zerstörung zu konzentrieren. In Ablehnung ihrer menschenfeindlichen Tendenzen, bietet die Tiefenökologie der grünanarchistischen Perspektive ein Verständnis der Tatsache an, dass das Wohlbefinden für jedes Leben mit der Bewusstheit verbunden ist, dass, abgesehen vom Gebrauchswert, jedes nicht-menschliche Leben seinen eigentlichen Wert besitzt. Die Wertschätzung des Reichtums und der Verschiedenheit des Lebens seitens der Tiefenökologie trägt zum Verständnis bei, dass die aktuelle Einmischung ins Nicht-Menschliche zwangsausübend und exzessiv ist, und dass die Lage sich schnell verschlechtert. Der Bioregionalismus trägt mit der Perspektive des Lebens in der eigenen Bioregion mit einer intimen Verbindung zum Boden, zum Wasser, zum Klima, zu den Pflanzen, zu den Tieren und zur allgemeinen Struktur der eigenen Bioregion bei. Der Ökofeminismus hat einen Beitrag zum Verständnis der Wurzeln, Abläufe und Erscheinungen der patriarchalen Wirklichkeit und ihren Auswirkungen auf die Erde, vor allem auf die Frauen und allgemein auf die Menschenwesen, geleistet. In jüngerer Zeit wurde die zerstörerische Trennung der menschlichen Wesen von der Erde (die Zivilisation) wahrscheinlich von den Ökofeminist*innen am klarsten und intensivsten artikuliert. Die antizivilisatorische Anarchie ist von den verschiedenen indigenen Kulturen und Völkern, die historisch gesehen und immer noch in tiefer Harmonie mit der Erde leben, zutiefst beeinflusst worden. Wenn wir demütig nachhaltige Überlebenstechniken und gesündere Arten der Wechselbeziehung mit dem Leben lernen und annehmen, ist es wichtig nicht alles über einen Kamm zu scheren oder die eingeborenen Leute und ihre Kulturen zu verallgemeinern, sondern wichtig ist, ihre Verschiedenheit zu achten und verstehen zu versuchen, ohne ihre kulturellen Identitäten und Eigenschaften zu kooptieren. Wenn wir versuchen die Todesmaschine abzubauen, sind Solidarität, Unterstützung und der Versuch uns mit den indigenen Kämpfen und den Kämpfen gegen die Kolonisation zu verbinden, die in der Vergangenheit die Fronten des Kampfes gegen die Zivilisation darstellten, wesentlich. Genauso wichtig ist es zu verstehen, dass wir alle Nachfahren von Leuten sind, die mit der Erde ein harmonisches Leben führten, dass diese Leute gewalttätig von dieser Verbindung getrennt wurden und sie so am antikolonialistischen Kampf beteiligt waren. Wir finden auch Inspiration im Wilden und von denen, die aus der Domestizierung ausgebrochen sind und sich wieder in die wilde Welt eingefügt haben. Und selbstverständlich von den wilden Wesen, die diesen wunderbaren blauen und grünen Organismus bilden, der Erde genannt wird. Genau so wichtig ist es, daran zu erinnern, dass, wenn auch viele grüne Anarchist*innen von solchen Quellen inspiriert werden, grüne Anarchie eine äußerst persönliche Angelegenheit für alle ist, die sich mit diesen Ideen und Aktionen identifizieren oder verbinden. Die Perspektiven, die der eigenen Lebenserfahrung inmitten der Todeskultur (Zivilisation) entwachsen und die eigenen, dem Abrichtungsprozess fremden, Wünsche sind letztlich die intensivsten und wichtigsten Dinge im Entzivilisierungsprozess.
Verwilderung und Wiederverbindung
Viele Leute der grünen, antizivilisatorischen, primitivistischen Anarchie haben die Verwilderung und Wiederverbindung mit der Erde als Lebensprojekt. Das ist nicht bloß eine auf intellektuelles Erfassen oder auf die Anwendung primitiver Geschicklichkeiten beschränkte Frage, sondern ist vor allem ein tiefes Verständnis der durchdringenden Arten und Weisen, mit denen wir abgerichtet, fragmentiert und von unserem Sein, untereinander und von der Welt verdrängt wurden, es ist ein tiefes Verständnis der Enormität und der Alltäglichkeit der Bedeutung des Unternehmens, wieder integer zu werden. Auswilderung hat ein physisches Element, welches das Bekenntnis zu Geschicklichkeiten und zur Entwicklung von Methoden zur nachhaltigen Koexistenz mit einschließt, wozu auch gehört wie wir uns mit den Pflanzen, den Tieren und den Materialien ernähren, beschützen und heilen, die natürlicherweise in unserer Bioregion leben. Es schließt auch den Abbau der physischen Erscheinungen, der physischen Apparate und Infrastruktur der Zivilisation mit ein. Verwilderung hat eine gefühlsmäßige Komponente, die, indem wir in nicht-hierarchischen und nicht-unterdrückerischen Gemeinschaften zusammenzuleben lernen und die domestizierende Mentalität unserer sozialen Strukturen abbauen, die eigene Heilung und die Heilung der uns Nahestehenden von den tiefen Wunden mit einschließt, die uns im Verlaufe von 10.000 Jahren zugefügt wurden. Verwilderung schließt mit ein: direkte Erfahrung vorrangig werden zu lassen, Leidenschaft anstatt Vermittlung und Entfremdung, das Überdenken eines jeden Aspektes und eines jeden Ablaufes unserer Wirklichkeit, schließt die Wiederverbindung mit unserem angeborenen wilden Grimm in der Verteidigung unserer Leben und im Kampfe für eine befreite Existenz mit ein, indem wir ein größeres Vertrauen in unsere Intuition entwickeln, die Verbindung zu unseren Instinkten verstärken und jenes Gleichgewicht wiedererobern, das nach Jahrtausenden der patriarchalen Kontrolle und Abrichtung praktisch zerstört wurde. Wieder wild zu werden ist der Vorgang der Entzivilisierung.
Für die Zerstörung der Zivilisation!
Für die Wiedervereinigung mit dem Leben!